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Morphogenesis

Morphogenesis

Titel: Morphogenesis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Marrak
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jedoch nicht, wie ich es von der Erde gewohnt war, sondern gleichmäßig, als würden sich nur noch mehr Wolken über der Stadt zusammenballen und das Sonnenlicht schlucken. Nach wie vor rätselte ich, ob tatsächlich eine Sonne über den Wolken stand oder das Licht nicht doch von Milliarden von Scheinwerfern erzeugt wurde, die über ein Kuppeldach verteilt waren. Das langsame Heranziehen der Nacht wirkte, als reguliere jemand die Helligkeit mit einem Dimmer.
    Falls diese Stadt sich auf einem fernen Planeten befand, der sich nur quälend langsam um seine Achse drehte, musste die Dunkelheit trotz der dichten Wolkendecke von einem Horizont zum anderen wandern. Sollte dies aber tatsächlich das Inferno, die Duat, der Scheol oder weiß Gott was für ein verdammter Ort sein, durfte ich annehmen, dass astronomische Abläufe, wie ich sie von der Erde kannte, nur bedingt stattfanden. Vielleicht existierte keine Sonne. Vielleicht gab es außer dieser Welt überhaupt keine Sterne oder Planeten; keinen Mond, der Gezeiten verursachte, keinen Asteroidengürtel und keinen kosmischen Staub, der sich als Sternschnuppen in die Atmosphäre verirrte. Ein leeres, ewig finsteres Paralleluniversum, in dem nur ein einsamer düsterer Planet trieb. Eine Welt, deren Herrscher sich nach der Vielfalt eines lebendigen Universums sehnten und alles taten, um das Leben zu kopieren. Unsterbliche Kreaturen, die nicht in der Lage waren, diese Dimension zu verlassen; denen die äonenlange Einsamkeit und Leere ihres Universums nach und nach den Verstand geraubt hatten, und für die die Pein ihrer künstlichen Schöpfungen mittlerweile das einzige Vergnügen darstellte, das sie noch zu empfinden vermochten …
    Elijah und Byron hatten mich den inneren Konflikt, aus einem Gewimmel winziger Maschinen zu bestehen, auf meinen ausdrücklichen Wunsch hin mit mir selbst ausfechten lassen. In Situationen, in denen anderen nach menschlicher Nähe und analytischen Gesprächen zumute war, suchte ich mein Heil in Abgeschiedenheit und Stille. Dann unterhielt ich mich in Gedanken mit Giza. Er ordnete meine Gedanken zuverlässiger als quasselnde Populärpsychologen, die sich nicht abschalten ließen.
    Bei meinem ziellosen Umherwandern hatte ich das Treppenhaus des Turms als eine einzige Bibliothek kennen gelernt. Ich war stundenlang die Etagen auf und ab geschlendert, in einer fast schon neurotischen Form von Selbstfindung, auf der Suche nach Ruhe und Ordnung und innerer Kontrolle. Dabei hatte ich da und dort einen Folianten oder Papyrus herausgegriffen und ohne besonderes Interesse hineingelesen. Viele waren in antiken Sprachen verfasst; Altgriechisch, Hieratisch, Sumerisch oder sogar in Kobe. Eine Reihe von Büchern, scheinbar eine Art Stadtchronik, hatten schließlich doch noch meinen Wissensdurst geweckt. Ich hatte die drei schweren Bände mitgenommen und mich weiter oben im Turm in ein bescheiden ausgestattetes Zimmer zurückgezogen, aus dessen Fenster ich eine gute Sicht auf den Fluss hatte, mit Blick auf die zerstörte Brücke. Elijah hatte mich eindringlich davor gewarnt, die obersten Stockwerke des Turms zu betreten. Die Geräusche, die durchs Treppenhaus herabdrangen, hätten allerdings von selbst ausgereicht, um mich vom Mezzanin fern zu halten. Was man hörte, wenn man an der Galerie im achten oder neunten Stock stand, klang, als befände sich unter dem Turmdach ein Insektarium für mutierte Ungeziefer. Der Gedanke, dass auch Demuarsell hin und wieder dort oben verkehrte, um zu fressen oder sich zu amüsieren, lag nahe.
    Das Besondere an der vermeintlichen Stadtchronik war, dass einiges, was darin beschrieben wurde, sich auf das alte Ägypten bezog, und zwar auf eine Epoche, die weit vor den ersten geschichtlichen Überlieferungen angesiedelt war: dem legendären Tep-Zepi-Zeitalter.
    Sowohl das Turiner Königspapyrus als auch der Priester Mantheo bezeichnen das Tep Zepi als die vom Gott Ptah begründete ›Regierungszeit der Götter‹. Dieser soll neuntausend Jahre über Ägypten geherrscht haben, ehe er sich den Legenden zufolge wieder auf eine Welt zurückzog, die Sopdet genannt wurde; der ägyptische Name für den Sirius. Nach Ptah wurde das Land fast fünftausend Jahre lang nacheinander von sieben weiteren Göttern regiert: Ra, Schu, Geb, Osiris, Seth, Horus und Thot. Letzterer gilt als Gott der Wissenschaft. Mit ihm, so steht geschrieben, endete die Herrschaft der tellurischen Achtheit. Insofern, spekulierte ich, dürfte er für alles verantwortlich

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