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Morphogenesis

Morphogenesis

Titel: Morphogenesis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Marrak
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Visionen und das Einswerden mit der Natur.«
    »Auf der Erde.« Ich nahm die Phiole wieder an mich, ehe Byron auf die Idee kam, sich ihren Inhalt pur in den Rachen zu kippen. »Aber was bewirkt es hier?«
    »Oh«, meinte Elijah, »vielleicht ein Einswerden mit dem Turm. Oder mit …« Seine Augen weiteten sich, als sehe er im Geiste etwas Furchterregendes auf sich zukommen. »Ich weiß es nicht«, wehrte er die Vision ab. »Ich habe es nie in entsprechend hoher Dosis probiert.«
    »Bestimmt mit Demuarsell«, grinste Byron an mich gewandt und klopfte mit der flachen Hand auf seine hohle Faust.
    »Hier gibt es keine göttlichen Visionen«, sagte Elijah. »Und auf das Gegenteil kann ich getrost verzichten. Es ist nicht gut, an einem Ort wie diesem seine Vernunft auszuschalten. Das, was die Hölle zur Hölle macht, ist immer und überall präsent, junger Freund; selbst in der Luft, die Ihr atmet. Daran solltet Ihr denken, bevor Ihr der Droge erlaubt, Euch zu besitzen.«
    »Sie soll mich nicht besitzen, sondern mir einen Weg aus diesem Irrgarten weisen. Mir helfen, etwas Offensichtliches zu erkennen, für das ich blind bin, weil es von einer höheren Macht unterdrückt wird. Verlorene Bilder, Erinnerungen, eine Struktur, einen Zusammenhang …«
    »Nun gut, Ihr wisst, woraus Euer Gehirn derzeit besteht«, zügelte Elijah meine Erwartungen. »Oberflächlich gesehen funktioniert es wie ein biologisches Organ, aber in Wirklichkeit ist es nur eine Ansammlung von metallischem Schmutz. Wenn Ihr tatsächlich glaubt, in diesem Partikelschwamm noch so etwas wie einen Rest Eures wahren Selbst, ein Unterbewusstsein mit Erinnerung zu besitzen, dann will ich diesem Glauben nicht im Wege stehen. Ich kann Euch allerdings nicht versprechen, dass Ihr Visionen haben werdet, junger Freund. Viele Menschen sehen nichts. Selbst dann nicht, wenn sie echtes Peyote probieren.«
    »Aber da ich kein Mensch bin …«
    Elijah seufzte und gab seinen Widerstand auf. »Versucht es. Doch gebt mir nicht die Schuld, wenn Ihr dadurch Schaden erleidet!«

 

     
     
    Die Hand saß auf meiner nackten Brust.
    Grelles Licht drang durchs Fenster und erhellte das Zimmer. Die Wände, das Regal, selbst Elijahs Bücher glühten unter seinem Schein. Ich hatte die Augen aufgeschlagen und starrte die Hand an. Als sie meinen Blick bemerkte, sprang sie von meiner Brust auf den Boden und krabbelte flink durchs Zimmer wie eine fette fünfbeinige Spinne. Ich richtete mich auf und sah ihr nach. Sie huschte durch den Raum, mal nach hier, mal nach dort wie ein aufgescheuchtes Kriechtier auf der Suche nach einem Durchschlupf. Dann war sie plötzlich verschwunden. An der Unterkante der Zimmertür klaffte ein kopfgroßes, schwelendes Brandloch.
    Ich erhob mich vollends und trat ans Fenster. Das grelle Licht verschlang alles; die gegenüberliegende Häuserzeile, den Fluss, und was sich auf ihm bewegen mochte. Kein Geräusch erfüllte die Luft. Es schien, als wäre die Zeit stehen geblieben und staue das Licht wie ein gewaltiger Damm. Es stand schon so hoch, dass es die Häuser überschwemmte. Bald würde sich eine Flut aus Licht über die Stadt ergießen und ihre gottverdammte Dunkelheit hinwegfegen …
    Ich wandte mich ab und ging zur Tür. Ein paar Atemzüge lang lauschte ich nach Geräuschen, dann trat ich nackt wie ich war auf den Flur. Alles um mich herum schimmerte weiß und silbern, verwandelte das Treppenhaus in das Zentrum einer Supernova, die strahlte, ohne die Materie ringsum zu verglühen. Undeutlich, wie hinter dichtem Nebel verborgen, erkannte ich Treppenfluchten, Geländer und den Boden des Korridors. Ich versuchte, die entfleuchte Hand zu erspähen, konnte sie aber nirgends entdecken. Nicht das leiseste Geräusch wehte durchs Treppenhaus, fast so, als sei mit der Zeit auch der Schall erstarrt. Die Flure führten radialstrahlig aus dem Zentrum der einzelnen Stockwerke in die Außenbereiche des Turmes; acht Korridore pro Stockwerk, wie die Beine einer Spinne. Als ich die Galerie erreicht hatte, warf ich einen Blick in die Tiefe. Weit unten bewegte sich etwas in der Dunkelheit, doch ich konnte nicht erkennen, was es war. Seine Masse füllte die gesamte Breite des Treppenhausschachtes aus.
    Das ferne Läuten einer Glocke geisterte durch den Turm. Ich lauschte ihrem Klang nach, dann schlich ich die Treppe hinab. Etliche Stockwerke tiefer umgab mich vollkommene Dunkelheit. Nur mit äußerster Mühe konnte ich noch einzelne Stufen erkennen. In einem der finsteren

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