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Morphogenesis

Morphogenesis

Titel: Morphogenesis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Marrak
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Schrott wieder beizubringen, wie Menschen empfinden?«
    Du bist kein Mensch, Ka, entgegnete die Stimme.
    »Ach nein? Was bin ich dann?«
    Jener Bestandteil deiner Seele, in dem die Wahrheit vor sich selbst geschützt bleibt. Das Ka, das den Schmerz in sich aufnimmt. Die Wunden des Geistes. Die unheilbaren Narben. Hörst du auf zu existieren, senkt sich die Dunkelheit über dich und alle anderen Elemente deiner Seele.
    »Welche anderen Elemente?«, rief Ka. »Heißt das, irgendwo existiert noch ein weiteres Individuum, das mich verkörpert?«
    Kein Individuum, erklärte die Stimme. Ein Ba-Körper.
    »Wo?«
    Am Ende der Zeit. Vergehst du, findet er niemals zurück.
    Ka betrachtete das Firmament, versuchte in der Konstellation der Sterne ein verborgenes Gesicht zu erkennen, ein Auge oder einen Mund. »Wer bist du?«, fragte er, als es hingestreute Sterne blieben.
    Ich bin der Name und die Form, die du mir gibst.
    »Gott?«
    Das ist eine Abstraktion.
    »Oder nur eine weitere Maschine? Ein Maschinengott?« Die Stimme schwieg. »Warum antwortest du nicht?«, rief Ka. »Bin ich zu nah an der Wahrheit?«
    Lange Zeit blieb es still, dann sagte die Stimme: Ich bin nur ein Aspekt davon, das sagte ich dir bereits. Etwas, das ebenso erschaffen wurde, wie es sich erschaffen hat. Das aus euch kommt und doch aus sich selbst wuchs. Das lebt und doch nicht lebt. Das euch so nah ist und doch so unerreichbar fern. Das eins ist und doch Legion. Ich bin der Staub, aus dem du geschaffen wurdest und zu dem du wieder vergehen wirst. Ich kann dir alle Antworten geben – und doch nicht die endgültige Antwort, nach der du dich sehnst.
    »Zeig dich!«
    Du hast mich bereits gesehen.
    »Das war nicht mehr als ein riesiges Gesicht aus Stein«, rief Ka. »Eine Maskerade. Mummenschanz!«
    »Du hast mich gesehen, aber nicht begriffen, erklärte die Stimme. Du bist in mir, Ka. Ich bin alles um dich herum. Du riechst mich, du atmest mich – du bestehst aus mir … Geh und folge dem Wasser, um zu erkennen, wonach du suchst. Doch hüte dich davor, die Grenze zu überschreiten und jene Ferne zu betreten, die mir ein Gräuel ist.«
    »Wozu?«
    Um deinen Ba-Körper zu retten. Und um zu begreifen.
    »Dass ich tot bin?« Ka lachte bitter. »Dazu muss ich nicht bis ans Ende dieser Welt pilgern. Das habe ich längst begriffen.«
    Nein, Ka. Noch bist du nicht tot – nur fern von mir.
    »Schick mir einen deiner verrosteten Engel, der mich wieder ins Sanatorium bringt«, rief Ka hinauf zu den Sternen. »Ich habe Schmerzen. Ich verfaule bei lebendigem Leib. Ich verrecke!«
    Geh, forderte die Stimme. Jeder Ort ist wie ein Ort. Ich werde auf dich warten …
    Dann erloschen die Sterne und ließen Ka in Finsternis zurück.

 

     
     
    Das Dach des Turms war leicht gewölbt, wie eine riesige Heliometerkuppel. Fast wirkte es, als läge ich auf einem winzigen, schwarzen Mond, dessen Horizont sich kaum zehn Schritte von mir entfernt krümmte. Ich richtete mich vorsichtig auf, in der absurden Angst, durch eine zu hastige Bewegung vom Dach zu rutschen.
    Die Nacht war ruhig geworden, das Geräusch der Paraboliden kaum noch zu vernehmen. Ich vermeinte, wieder einen schwachen Schimmer Tageslicht über den Dächern zu erkennen. Kein Chronerkommando wartete auf mich, und auch die Luftschiffe nahmen offenbar keine Notiz von mir. Von Elijah war weit und breit nichts zu sehen. Entweder hatte er vor mir das Bewusstsein wiedererlangt und sich entfernt, oder er befand sich noch immer an Bord des Paraboliden, irgendwo über der Stadt.
    Wenige Meter neben mir erblickte ich die Eisenstange. In der Gewissheit, dass sie mir noch nützlich sein würde, nahm ich sie an mich, dann ging ich zu einem der drei kaminartigen Aufbauten, die aus dem Dach ragten. In ihm öffnete sich ein finsterer Abgang mit einer Treppe, die zurück ins Turminnere führte.
    Als ich das oberste Stockwerk erreicht hatte, verharrte ich eine Weile und lauschte. Aus den Tiefen des Gebäudes drangen Stimmen und entferntes Rumoren durch das Treppenhaus herauf, das klang, als stellte eine Horde von Chronern die unteren Stockwerke auf den Kopf. Was auch immer Elijah in den Tiefen der Fabrik ausgelöst hatte, es hatte das Kraftfeld, das den Turm umgeben hatte, kollabieren lassen. Womöglich war der Reaktor explodiert, und ein unzähmbares Feuer fraß sich nun seinen Weg durch die Eingeweide der Stadt. Vielleicht hatte das Maschinenwesen, das kurzfristig aus dem Paraboliden hinab in den alten Kontrollraum teleportiert

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