Morphogenesis
Zwielicht. Am Ende kauerte ich mich in einer Ecke des Zimmers zusammen und lauerte auf Schritte und Stimmen.
Lange war außer dem immerwährenden Heulen des Windes nichts zu hören, dann drangen dumpfe Schläge an meine Ohren. Ich packte die Eisenstange, die ich griffbereit neben mich gelegt hatte, zog mich in die hinterste Ecke meiner Zuflucht zurück und starrte auf den mit dicken Brettern verrammelten Eingang. Jenseits der Barrikade erklang ein Schleifen, als gleite etwas langsam an ihr herab. Ein Schnauben war zu vernehmen, laut und stockend, dann klang es, als kratze jemand mit Metallklingen über das Holz.
Meine Hand krampfte sich um die provisorische Waffe. Ich wusste nicht, was sich dort draußen an der Barriere zu schaffen machte, doch es hörte sich weder nach Chronern noch nach Demuarsell an.
Dicht über dem Boden ertönte nun ein Hecheln und Knurren, fast so, als hätte die Kreatur meine Witterung aufgenommen, gefolgt von einem Scharren, das klang, als wolle sie sich durch das Gestein graben. Erneut zitterte die Barrikade unter einem donnernden Schlag, dann vernahm ich sich rasch entfernende Schritte wie von einem riesigen Insekt. Ich entspannte mich ein wenig und wartete. Als ich sicher war, dass das Wesen sich nicht mehr in der Nähe der Tür aufhielt, schlich ich bis auf Armlänge an sie heran. Auf dem Korridor war nichts zu hören.
Vorsichtig setzte ich die Eisenstange an, hebelte einen der massiven Balken aus der Barriere und sah durch die neu entstandene Öffnung. Ein Stück von mir entfernt schimmerte ein metallischer Gegenstand auf dem Fußboden. Mein Herz übersprang einen Schlag, denn auf den ersten Blick glaubte ich, das geheimnisvolle Kleinod aus Archons Rucksack vor mir liegen zu sehen. Allerdings hatte der Gegenstand, den Byron durch das Leder umfasst hatte, deutlich kompakter gewirkt. Das Ding auf dem Korridor war zu lang und zu schlank. Unschlüssig, ob es sich um ein Geschenk oder einen Köder handelte, streckte ich meine Hand aus und riss es blitzschnell zu mir herein.
Das Objekt sah entfernt aus wie eine dicke, zusammengeschobene Radioantenne. Ein Ende des Zylinders war flach, das andere konisch verjüngt und ließ mehrere teleskopartig ineinander versenkte Hülsen erkennen. Ihre Mitte bildete ein transparenter Stab vom Durchmesser einer Kugelschreibermine. Trotz aller Bemühungen schaffte ich es nicht, das Objekt zu öffnen. Anscheinend funktionierte es nur in Verbindung mit einem anderen Gerät. Dennoch: Irgendetwas stimmte nicht mit ihm. Es wog schwer in der Hand, viel schwerer, als seine Größe rechtfertigte. Ich ließ den Zylinder auf den Boden fallen, wieder und wieder. Sein Aufschlag klang zu dumpf. Er besaß viel zu viel Masse.
Ohne zu wissen, wozu das Instrument gut war, steckte ich es ein und spähte wieder hinaus auf den Flur. Er schien verlassen zu sein. Behutsam vergrößerte ich das Loch in der Tür und kroch vorsichtig nach draußen. Dort verharrte ich und lauschte. Durch den Turm heulte der Wind, sonst herrschte Stille. Der rußbedeckte Korridor verlor sich in einer weiten Biegung. Ich orientierte mich und schlug die Richtung ein, in der das Treppenhaus liegen musste. Alle fünfzehn Schritte klafften Türöffnungen in den Wänden. An jeder hielt ich inne, doch die dahinter liegenden Räume waren leer. Lediglich bizarre Insekten bevölkerten die Böden, Decken und Wände, krochen, glitten, hüpften oder flogen davon, wenn ich in die Eingänge trat. Unablässig waren sie damit beschäftigt, sich zu vermehren und gegenseitig aufzufressen, sich immer weiter zu vermehren und zu fressen und zu fressen, nur um ihrerseits von den allgegenwärtigen Schwämmen gefressen zu werden, hüfthohen, unförmigen Klumpen, die wie Industriestaubsauger durch die Flure des Turmes krochen und alles absorbierten, was unter ihre aufgedunsenen Leiber geriet. Die Insekten reproduzierten sich jedoch ebenso schnell, wie sie dezimiert wurden. Alles war erfüllt vom Knistern und Schwirren ihrer Myriaden von Beinen und Flügeln.
Meine Schritte waren nahezu unhörbar; der weiche, feuchte Schimmelteppich auf dem Boden des Korridors schluckte jeglichen Laut. Ein verstohlenes Geräusch, das wenige Meter weiter hinter einer scharfen Biegung erklang, ließ mich innehalten. Nach einigen Sekunden glaubte ich bereits, mich getäuscht zu haben, und ließ den angehaltenen Atem lautlos aus den Lungen strömen. Im gleichen Moment ertönte das Geräusch erneut – ein träges, gleichförmiges Scharren, bald
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