Morphogenesis
gebrochenem Englisch, als ich ihm zu nahe kam. »Rühren Sie mich nicht an!«
»Okay, okay, ich werde mich nur hier hinsetzen.« Ich warf einen prüfenden Blick in die Tiefe. Nichts regte sich, kein Laut war zu hören. »Sind sie Deutscher?« Ein Schnauben war die einzige Antwort. »Wie heißen Sie?«
»Beck. Albert Beck.« Er fuhr sich mit einer Hand hektisch durch den kurzgeschorenen Haarkranz. »Wo bin ich hier?«
»Das … ähm, ist ziemlich kompliziert zu erklären. Das entsprechende Fachpersonal wird Sie früher oder später einweisen. Ich heiße übrigens Hippolyt Krispin. Ist das dort hinter Ihnen die Tür, durch die Sie das Treppenhaus betreten haben?« Beck blinzelte mich begriffsstutzig an, dann blickte er, statt zu besagter Tür, zur Spitze des Megarons empor. »Die Tür!«, erinnerte ich ihn.
»Eine davon, ja«, flüsterte der Mann. »Ich hab mich nicht bewegt. Ich bin keinen Schritt gegangen. Wir müssen dort runter, hat er gesagt, aber das ist viel zu tief … viel zu tief …«
»Keine Sorge, ich zwinge Sie keinen Meter weiter«, versicherte ich ihm und schielte hinüber zum Licht. Offenbar litt mein Gegenüber unter extremer Höhenangst. »Sagen Sie, wollen Sie hier wieder raus?«
»Ja!« Beck zog sich am Geländer näher an mich heran. »Unbedingt!«
»Dann sollten Sie jetzt das Geländer loslassen und auf die andere Seite des Korridors kriechen. Sehen Sie zu den Türen hin.« Er starrte unverwandt in die Höhe. »Na los, blicken Sie zur Wand, dann ist alles nur noch halb so schlimm!«
Als drehte eine unsichtbare Macht seinen Kopf ruckartig im Uhrzeigersinn, glotzte Beck die Türen an, eine nach der anderen. Ehe er einen Panikanfall erlitt, tauchte ich in seinem Gesichtsfeld auf.
»Okay …« Ich trat an die Tür, vor der er gekauert hatte. Sie trug die Nummer 51071. »Ich gehe voraus, und Sie bleiben dicht hinter mir, verstanden?«
»Aber dort drüben ist nichts«, jammerte er. »Nur eine riesige, finstere Halle. Das Tor hat sich geschlossen.«
Ich lächelte. Zumindest diese Schilderung Becks klang schon mal sehr vertraut nach dem Inneren der Nordsäule. »Wo sind Sie …« Gestorben, hätte ich fast gesagt. »… in den Nebel geraten?«, vollendete ich den Satz.
»Sie – Sie wissen davon?« Er ließ tatsächlich das Geländer los und richtete sich halb auf. »Sie kennen das?«
»Wäre ich sonst hier?«
»Ja. Nein. Verflucht!« Er stand auf und lehnte sich mit beiden Händen gegen die Tür. »Azbine …«
»Bitte?«
»Aïr-Gebirge. Niger. Ich dachte … ich dachte, ich sei …« Er schüttelte heftig den Kopf, als wollte er eine unangenehme Erinnerung verscheuchen, dann stierte er auf die Nummer, die in Augenhöhe auf dem Türblatt prangte. »Eine Primzahl«, murmelte er kaum hörbar. Er warf mir einen verstörten Blick zu und sagte: »Ein Mann in einem Helikopter hat mich in Iferouâne abgeholt. Ich dachte, Durand hätte ihn geschickt, aber er kam nicht von Durand. Sein Name war Ticher.«
»Nicht Archon?«
»Nein, nein, Ticher!« Beck tastete seine Hemdtaschen ab, ohne zu finden, wonach er suchte. »Er sagte, meine Arbeit sei beendet, und er habe den Auftrag, mich nach Hause zu fliegen.«
»Nach Deutschland?«
»Nein. Doch. Mann, unterbrechen Sie mich nicht dauernd!« Beck erstarrte schwer atmend, dann erzählte er in wesentlich ruhigerem Ton weiter: »Wir flogen vom Militärstützpunkt in Iferouâne aus über die gesamte Nordsahara; über Al-Uwaynat, Tripolis und das Tyrrhenische Meer bis Rom. Zweieinhalbtausend Kilometer in einem Bell 47, ohne aufzutanken, in einem Affentempo. Ist das nicht irre?« Er kicherte hysterisch.
Ich rief mir Elijahs Karte der vier Duatsäulen in Erinnerung und fragte: »Wieso hat man Sie nicht nach Westen geflogen?« Beck sah mich verständnislos an. »Vergessen Sie’s«, winkte ich ab. »Was ist nach Rom passiert?«
»Als wir Perugia erreicht hatten, änderte dieser Ticher plötzlich die Route und flog in Richtung Balkan …«
Ich lachte innerlich auf. Den Rest der Geschichte hätte genauso gut ich ihm erzählen können. Statt Beck zuzuhören, bildete ich in Gedanken Anagramme von Ticher. Die augenscheinlichste Kombination war der Name eines altägyptischen Fährmanns: Cherti. Ich schüttelte grimmig den Kopf, was Beck wieder zu irritieren schien. Blieb die Frage, was aus Archon geworden war. Kreuzbeißer hatte in Elijahs Turm die hämische Bemerkung geäußert, der Pilot sei für geraume Zeit unpässlich – was auch immer das bedeuten
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