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Morphogenesis

Morphogenesis

Titel: Morphogenesis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Marrak
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dann warf er sie ins Feld und reichte dem Verrückten die Hand. Ein halb überraschter, halb amüsierter Ausdruck trat in dessen Gesicht. Der Fremde zögerte einen Moment, dann ergriff er Kas Hand und zog sich an ihr auf die Beine. Es gab ein unappetitliches Geräusch, als das Fleisch an Kas Arm durch die abrupte Beanspruchung wieder bis auf die Knochen aufriss.
    »Oi!«, entfuhr es dem Bärtigen, als er sah, was er angerichtet hatte.
    Ka betrachtete die Wunde, aus der wie gewohnt kein Blut sickerte, und raffte die Haut wieder zusammen. Es schmerzte, doch ebenso wie bei den übrigen Verletzungen war es kein wirklich körperlicher Schmerz.
    »Warum sind Sie abgestürzt?«, wollte Ka wissen. »Ist das Schiff mit irgendetwas zusammengestoßen?«
    »Ich glaube ja. Es gab einen fürchterlichen Schlag, dann brach es auseinander, und ich fiel. Ich hatte zuerst geglaubt, ein anderer Parabolid hätte das Feuer eröffnet, aber …« Er stockte, duckte sich und sah erschrocken in die Wolken. »Gibt es hier Paraboliden?«, fragte er in einem plötzlichen Anfall von Furcht.
    »Nein, ich glaube nicht. Wie heißen Sie?«
    »Elijah.«
    »Sind Sie – ein Mensch?«
    »Ihr meint: Bin ich ein lebendiges Wesen oder eine Maschine? Nun, das kommt ganz auf den Blickwinkel an. Ich bin alles und nichts von allem zugleich.« Er beugte sich heran und schnupperte an Kas Kleidung. »Und Ihr müsst ein Ka- Körper sein«, erkannte er. »Schutzbedürftige, schwindende Lebensenergie von geringer Beständigkeit …«
    »Wie bitte?«
    Elijah schüttelte den Kopf und sah sich in alle Richtungen um. »Sagt, wo ist Euer persönlicher … ähm, Priester?«
    »Sie meinen Schwester 26?«
    Elijahs Züge hellten sich auf. Er nickte erregt, den Blick unablässig auf Kas entstelltes Gesicht geheftet.
    »Was starren Sie mich so an?«
    »Oh, nichts, nichts«, beschwichtigte ihn Elijah. »Ihr erinnert mich nur an jemanden, den ich gut kannte … Leider wurden wir getrennt.« Er sah sich wieder um, als suchte er in der Ferne einen Punkt, an dem er sich orientieren konnte. »Wo sind sie denn?«
    »Wo ist wer?«
    »Na, die Glückseligen. Und die Engel.«
    »Folgen Sie dem Fluss, dann wird Ihnen vielleicht der eine oder andere begegnen.«
    »Und Ihr? Wohin führt Euer Weg?«
    »Flussabwärts.« Ka deutete in den Nebel. »Mir bleibt nicht mehr viel Zeit, wie Sie sehen. Ich muss weiter. Wollen Sie mich begleiten? Ich könnte womöglich Hilfe gebrauchen.«
    »Oh, nein, nein! Sie werden mich suchen, wisst Ihr. Ich muss zuvor einen Ausgang finden …« Elijah machte ein paar Schritte auf das brennende Wrack zu, überlegte es sich dann anders und ging in die Richtung, aus der Ka gekommen war. »Einen Ausgang, versteht Ihr?«
    »Nein«, gab Ka zu.
    Er beobachtete, wie Elijah schneller und schneller ging und schließlich über den Pfad zu rennen begann. »Meiden Sie das Wasser!«, rief er ihm hinterher, dann wandte er sich um und schritt auf den Nebel zu.

 

     
     
     
    Seht, ich trete ein in die Welt, aus der ich hervorgegangen bin,
    ich werde zum Öffner der Duat!
    Ich bin es, der sie abgetrennt hat bei der Schöpfung,
    als ich mich selbst gegründet habe.
    Ich bin der Einzige, der für euch Sorge trägt.
    Ich erleuchte euch, ich vertreibe eure Dunkelheit!
     
    Aus dem ägyptischen Jenseitstext Livre des Quererts (Höhlenbuch)
    Zweiter Abschnitt

 

     
     
    Kälte umfing mich, als ich erwachte. Schmutzig graue Wolken zogen über mich hinweg, mitunter erhellt von zuckenden Blitzen und Wetterleuchten. Dann glühten sie Augenblicke lang, rot, blau, violett. Ferner Donner grollte unablässig, doch kein Regen fiel. Ich lag auf dem Rücken und sah in den Himmel. Schneidend kalter Wind fegte durch Schluchten aus gedrungenen, rußgeschwärzten Häusern, die um mich herum aufragten wie zu Stein erstarrte Dämonen einer archaischen Zivilisation. Von allen Seiten neigten sich ihre Fassaden gierig über mich, als wollten sie mich mit ihren starrenden Fensterhöhlen verschlingen. Der Wind wurde schneidender, schien unter meine Haut zu dringen und mein Fleisch mit sich reißen zu wollen.
    Glutäugige Kreaturen traten in mein Gesichtsfeld, näherten sich schweigend und kreisten mich ein. Ich sah zu ihnen empor, unfähig, mich zu bewegen. Sie waren nackt, geschunden, überwuchert von Wundmalen. Ihre Körper schienen erobert von Adenomen, die ihnen wie zusätzliche Gliedmaßen entsprossen – ihren Köpfen, Leibern, Genitalien. Dennoch wirkte ihre Haut spröde, staubig und trocken.

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