Morphogenesis

Aus den tiefen Rissen ihrer Körper quoll kein Blut, sickerte kein Wundwasser. Sie erweckten den Eindruck von Gottes unfertigen Kindern, Monstren aus getrocknetem Lehm und Modder.
    Eine weibliche Gestalt näherte sich und streckte ihre Hand nach mir aus. »Willkommen in der Stadt, die für dich auserwählt wurde«, krächzte sie und entblößte dabei ein Furcht erregendes Gebiss. »Willkommen, der du gesandt wurdest, uns zu laben!« Ihre Haare loderten im Wind, ihre glühenden Augen badeten ihr Gesicht in dämonisches Feuer. Ich wollte von ihr wegkriechen, als das Flackern der Blitze mit dem Leuchten ihrer Augen zu einem grellen Licht verschmolz, doch die Hände ihrer Sippschaft hielten mich fest.
    Ein Schuss ertönte und ließ die gesamte Rotte zusammenschrecken. Einige der Gestalten sahen sich gehetzt um und liefen wild durcheinander. In kurzer Folge peitschten zwei weitere Schüsse, worauf die Entstellten heulend und jammernd in alle Richtungen davonstoben. Statt ihrer tauchte nun ein einzelner dunkler Schatten über mir auf.
    »Hi«, knurrte er. »Ich hoffe, du hattest einen angenehmen Flug.«
    »Byron?« Ich blinzelte verdutzt.
    »Na, hat man dich aus deinen hochfliegenden Träumen gerissen?« Der Schwarze ging neben mir in die Hocke, tastete meine Kleidung ab und nahm die Noxe an sich. Meine fahrigen Bemühungen, ihn daran zu hindern, wehrte er mühelos ab. »Messer, Gabel, Schere, Licht, sind für kleine Kinder nicht«, murmelte er und steckte die Steinpyramide ein. »Ab jetzt nehme ich das Ding, ehe du noch mehr Unheil damit anrichtest.«
    »Ich hätte es fast geschafft!«, keuchte ich.
    Byron stieß einen bellenden Laut aus. »Ja, dieser Spruch kommt mir bekannt vor. Doch du, der du hier eintrittst, lass alle Hoffnung fahren … Schon vergessen?«
    »Wo sind wir?«
    »Keine zweihundert Meter von der Stelle entfernt, an der du durch die Tür verschwunden bist«, erklärte Byron und erhob sich. »Spar deinen Atem«, unterband er meinen Ansatz, ihm das Erlebte zu erzählen. »Man hat mir schon viel zu oft von Fluchtversuchen durch das Megaron berichtet. Die Pointe war immer dieselbe. Hier herrscht Ordnung, Amigo. Alles wandert schnurstracks zurück an seinen Platz.«
    »He, ihr beiden!«, rief jemand aus dem Hintergrund. »Hört endlich auf zu quatschen und kommt gefälligst her. Ich hab nur noch vier Schuss Munition!«
    Ich hob den Kopf und erkannte Spindario, der mit der Pistole im Anschlag an seinem Taxi lehnte und die Umgebung sondierte.
    »Wie …« Ich musste husten. »Wie hat er das geschafft?«
    »Was geschafft«, erkundigte sich Byron, während er versuchte, mich auf die Beine zu ziehen. Meine Muskeln waren weich wie Pudding.
    »Den Wagen anzuhalten.« Ich stand nur für wenige Sekunden, dann schoss ein stechender Schmerz durch meinen linken Oberschenkel, und ich knickte wieder ein. Als ich nach der schmerzenden Stelle griff, erfühlte ich so etwas wie einen zentimeterdicken, runden Bolzen, der tief im Fleisch steckte.
    Byron warf einen Blick darauf und verzog belustigt die Lippen. »Halt still!«, wies er mich an, dann packte er den Fremdkörper und riss ihn mit einem kräftigen Ruck aus meinem Schenkel. »Visitenkarte«, grinste der Schwarze und wog das ellenlange, blutverschmierte Objekt in der Hand. Es war ein abgebrochener Zahn, so spitz wie eine Lanze. Ohne ihn weiter zu beachten, reichte Byron ihn an Spindario weiter.
    »Glückwunsch«, meinte der Taxifahrer und hielt den Hauer wie eine Trophäe vor sich hin. »Hast Apep kennen gelernt. Hat’s wehgetan?«
    Ich ließ mich zurück auf das Kopfsteinpflaster sinken. Wunderbar, Krispin. Zwei Witzbolde auf einem Haufen.
     
    Die Gegenwart Byrons schien bei Spindario einen Testosteronschub ausgelöst zu haben, der ihn im wahrsten Sinne des Wortes Amok fahren ließ. Vielleicht hatten die beiden sich während meiner Abwesenheit geprügelt und er hatte den Kürzeren gezogen. Womöglich war er aber auch nur wütend wegen unserer Unverfrorenheit, sein Taxi für unsere Interessen zweckzuentfremden, und nicht zuletzt auch aufgrund meines Coups, ihn aus dem Megaron ausgesperrt und um seine Kundschaft betrogen zu haben. Ohne auf Sektorengrenzen, Chronerkontrollpunkte oder über die Fahrbahn laufende Büßer zu achten, raste er mit uns durch die Straßen, der Stadtgrenze entgegen. Meist konnte ich nur erahnen, welche Art von Sektor wir durchquerten. Altertümliche Stadtviertel, die sich durch katastrophale Straßenverhältnisse auszeichneten, wechselten sich ab