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Morphogenesis

Morphogenesis

Titel: Morphogenesis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Marrak
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Nachricht.«
    »Das nächste Mal bringen Sie mir gefälligst ein Handy«, brummte ich.
    »It faddal, Mister Krispin …« Der Page hielt mir die geöffnete Schatulle hin.
    Ich legte letzte Hand an meine Garderobe, dann fingerte ich den Papyrus heraus und rollte ihn auf. Ankh wedia seneb, war in einer merkwürdig geschwungenen, doch eindeutig weiblichen Handschrift darauf zu lesen. Haben Sie Lust auf ein Wiedersehen? Ich erwarte Sie im Casino!
    Der Papyrus verströmte einen eigenartigen Duft, den ich nirgendwo einordnen konnte. Es war weder Parfumgeruch noch der von Blumen oder Gewürzen. Nie zuvor hatte ich etwas so dezent Fremdes und zugleich Berauschendes gerochen. Mein Blick fiel auf die Kobra, die sich auf der Hand des Pagen wohl zu fühlen schien, und hoffte, dass es nicht ausgerechnet Schlangenkot war, der mich so betörte.
    Ich gab dem Pagen zwanzig Dollar und schickte ihn fort, mit der Bitte, die Schatulle ohne die Schlange in meinem Zimmer zu deponieren. Nachdem er im Hotel verschwunden war, warf ich einen nachdenklichen Blick auf die Hotelfassade. Für Sekunden meinte ich dabei, jenseits des großen Panoramafensters im ersten Stock einen Schatten zu erkennen, der sich sofort in den Hintergrund zurückzog.
    In meiner Fantasie ließ ich den Hotelpagen in einer Schlangengrube versinken und rechnete mir aus, ob ich nach einem Biss der Kobra noch die Zeit gefunden hätte, ihn wegen unterlassener Hilfeleistung (oder besser: Beihilfe zum Mord) anzuzeigen, oder ob ich bereits auf dem Weg zur Rezeption gestorben wäre. Shisha, Wein und Neurotoxin … Intensiv musterte ich meinen Handrücken. Er juckte und brannte, doch die Symptome waren psychosomatisch bedingt. Die Schlange hatte mich nicht gebissen. Es war lediglich der Alkohol, der den Hypochonder in mir geweckt hatte.
    Den zusammengerollten Papyrus an den Lippen, ließ ich mich wieder in den Sessel sinken und ging in Gedanken meine Kairoer Frauenbekanntschaften der letzten fünf Jahre durch. Allerdings war ich zu berauscht, um mich auch nur an die Hälfte ihrer Gesichter zu erinnern – geschweige denn an ihre Namen. Daran hatte auch der Schreck über die Schlange nichts geändert. Aber ich erinnerte mich, wie sich ihre Körper angefühlt hatten; weich, warm und samten.
    Zu keiner von ihnen passte jedoch die Marotte, Schlangenbotschaften zu verschicken. Entschlossen und von Neugier gepackt zog ich an der Shisha. Im Casino des Hotels wartete ein abenteuerlustiger orientalischer Engel auf mich – oder besser gesagt: ein abenteuerlüsterner. Zudem war heute Equinox. Warum sollte es nicht noch einen krönenden Abschluss geben, eine dieser schwülen ägyptischen Nächte, die man nicht vergisst?
    Du bist ganz schön besoffen, Krispin!, war alles, was Giza dazu einfiel. Geh lieber gleich ins Casino, bevor deine einzige Erinnerung ein Kater sein wird.
    Ich starrte auf die Lichtreflexionen, die über die Wasseroberfläche tanzten. Wenn man Europäer fragte, wo sie lieber wären, auf dem Mond oder hier, würden die meisten ohne Zögern antworten: Auf dem Mond. Jeder, der zum ersten Mal nach Kairo kam, machte drei Phasen in diesem Hexenkessel durch. Am ersten Tag wurden die Sinne von der unglaublichen Menschenmenge überwältigt. Über zehn Millionen Menschen wohnen hier, und zwei bis drei Millionen strömen täglich als Pendler hinzu. Der Fluss, die Brücken, die Prachtbauten an der corniche, der Lärm – die Sinne wurden am ersten Tag völlig überreizt.
    Während der nächsten Tage, der zweiten Phase, nahm man die bedrückende Armut wahr, die unglaublich war für europäische Begriffe, sah Hunderttausende, die auf dem Friedhof zwischen den Gräbern hausten.
    Viele, die nach Kairo kamen und nicht genug Geld besaßen, zogen in die Totenstadt. Die Menschen schliefen dort jedoch nicht unter freiem Himmel. Wenn Ägypter einen Toten begruben, bauten sie gerne ein kleines Häuschen um das Grab; darin hielten sie sich von Zeit zu Zeit auf, um den Verstorbenen nahe zu sein. Im Laufe der Jahrhunderte war auf diese Weise zu Füßen der Zitadelle Salah ad-Dins eine riesige Nekropole gewachsen. Stundenlang war ich bei meinem ersten Aufenthalt in Kairo durch die Straßen und Gassen der Totenstadt spaziert. Die Menschen in den kleinen Häusern lebten nicht schlechter als ihre Freunde und Verwandten in den anderen Stadtteilen. Mitte der siebziger Jahre hatte die Regierung damit begonnen, Strom- und Wasserleitungen zu legen. Inzwischen ragten über den Gräbern von Al Mugawarin, Al

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