Morphogenesis
Bildaufnahmen aus dem Pyramideninneren hatte Károly bereits via Satellit an eine kennwortgeschützte Mailadresse geschickt und den Memory-Chip der Kamera gelöscht. Der goldene Uroboros und die Beutel mit den Staubproben lagerten sicher verpackt im Erdreich unter meinem Feldbett und warteten darauf, ausgegraben zu werden und in einer meiner Reisetaschen unter dreckiger Wäsche zu verschwinden.
Dass ich gut daran getan hatte, die Sachen zu verstecken, erkannte ich, als ich mein Zelt wesentlich leerer vorfand, als ich es in Erinnerung hatte. Die Polizisten hatten während unserer Vernehmung gründlich sauber gemacht. Bis auf meine persönlichen Habseligkeiten fehlte fast alles, was auch nur im Entferntesten nach Forschungsergebnissen oder Aufzeichnungen ausgesehen hatte; Károlys Luftaufnahmen, die Messergebnisse der Radiokarbon-Untersuchung, das Grabungsprotokoll, sämtliche Audioaufzeichnungen und Fundstücke …
Vieles davon hatten wir bereits vor Rahmeds Tod abfotografiert oder gleich doppelt erstellt. Ein Mitarbeiter von Károly hatte das Material mit dem Geländewagen nach Assuan gebracht und inzwischen nach Rumänien ausgeflogen. Jahrelange Berufserfahrung in diesem Land machte Gott sei Dank paranoid. Hatten wir die Staubproben und den Uroboros erst einmal aus dem Lager geschmuggelt, blieb unser Stolz das Einzige, was wir heute verloren.
Während Károly beabsichtigte, nach unserer Ankunft in Kairo direkt nach Rumänien weiterzufliegen, um den Staub zu analysieren und in Craiova eine erste Pressekonferenz vorzubereiten, würde ich noch für ein paar Tage ein Hotel beziehen, um das Formular-Unwesen der Antikenverwaltung zu füttern. Bis das neue Archäologenteam samt Roboter-Ausrüstung unser Lager am Djebel Uweinat übernommen hatte, lag der Papierkrieg hoffentlich hinter mir. Und ehe man in den Tiefen der Pyramide unsere Fußspuren im Staub entdeckte, würde ich das Land längst verlassen haben. Vielleicht tauchten irgendwann einmal zumindest unsere Namen als Entdecker einer sechseckigen prä-ägyptischen Pyramide in den Geschichtsbüchern auf.
Aber nur vielleicht …
In einer Ecke der Shisha-Bar spielte ein Geiger traditionelle Melodien. Ich war leicht betrunken – vom Rotwein, von den Lichtern der Stadt, die sich im Fluss spiegelten, und vom Bewusstsein, dass dies meine letzte Nacht in der Nil-Metropole war. Wir schrieben den 21. März, den Tag des Equinox, ein in dieser Kultur fast so heiliges Datum wie die Sonnenwende. Mein Zimmer befand sich im fünften Stock des Sheraton-Hotels. Ich saß unten am Flussufer auf der Terrasse der Bar, beobachtete das nächtliche Treiben auf dem Nil und rauchte Wasserpfeife. Noch immer kreuzten Dutzende von Schiffen auf dem Strom und beförderten nachtaktive Touristen den Fluss hoch und runter. Zwei von ihnen lagen direkt vor dem Hotel und ließen zur Stromversorgung rund um die Uhr die Motoren laufen; ein Geräusch, an das ich mich nur mit geschlossenen Balkontüren gewöhnen konnte. Trotzdem war es eine Wohltat, endlich dem unruhigen Süden entkommen zu sein.
Der sechstägige Papierkrieg mit den Behörden hatte mich beinahe den letzten Nerv gekostet. Leidlich entspannt ließ ich daher die Ereignisse der vergangenen Wochen Revue passieren, genoss die mystische Atmosphäre der Tag-und-Nacht-Gleiche, der die Stadt verfallen war, und beschloss, mich zu betrinken. Morgen Vormittag ging meine Maschine nach Bukarest, und wenn ich Glück hatte, würde ich umgehend Anschluss nach Craiova finden.
Ich ertappte mich dabei, wie ich mit den Fingern über den Schlangenreif auf meiner Brust strich; zärtlich, fast so als würde ich den goldenen Körper liebkosen. Falls die rumänischen Zollbehörden Károly keinen Strich durch die Rechnung gemacht und als vermeintlichen Drogenschmuggler verhaftet hatten, müsste er den Staub aus dem Ringsarkophag mittlerweile analysiert haben. Vielleicht hatten seine Dragomane sogar schon einige der Schriftzeichen oder ganze Textabschnitte der Reliefs übersetzen können.
Während ich nachdenklich auf den Fluss starrte, bildete ich mir ein, der Schlangenreif werde wärmer. Ich zog ihn an der Lederschnur, an die ich ihn geknotet hatte, aus dem Hemdkragen, behielt ihn jedoch nah am Körper, damit er keine neugierigen Blicke auf sich zog. Das Schmuckstück lag schwer in meiner Hand, doch keinesfalls so schwer, wie ein massives Artefakt seiner Größe eigentlich erwarten ließ. Dass es sich tatsächlich heiß anfühlte, lag sicher am
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