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Morphogenesis

Morphogenesis

Titel: Morphogenesis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Marrak
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Alkohol und dem Rauch der Shisha, die meine Wahrnehmung trübten.
    Der Reif stellte eine fingerdicke Schlange dar, die sich selbst in den Schwanz biss: Uroboros, den ›Weltumringler‹. Nach wie vor war mir ein Rätsel, wie dieses Symbol bereits vor zehntausend Jahren in der Uweinat-Region bekannt gewesen sein konnte. Dass es seinen Ursprung in Ägypten hat, steht außer Frage. Bereits im Alten Reich war Uroboros das Sinnbild des anfang- und endlosen Gottes Kematef. Als solches prangt es auch auf einem vergoldeten Schrein Tutanchamuns. Bei den Griechen verkörperte er die materia prima und die Einheit des Kosmos. Die Alchemisten mussten den ›Schwanzfresser‹ töten, wenn sie das große Werk vollenden wollten; Agathos Daimon, den Drachen der Ewigkeit. Aber welche Bedeutung hatte dieses Symbol vor mehr als zehntausend Jahren besessen …?
    Da ich zu benebelt war, um mir eine vernünftige Hypothese zu überlegen, verschob ich das Problem bis zu meinem Wiedersehen mit Károly. Prüfend wog ich das Artefakt in der Hand. Es war eindeutig zu leicht. War es womöglich hohl; ein raffiniertes Versteck für Gift oder Aphrodisiaka?
    Mit konzentriert-verschwommenem Blick studierte ich das Kleinod, suchte nach einer Möglichkeit, es irgendwie zu öffnen. Als ich nichts dergleichen fand, hielt ich es ans Ohr und schüttelte es, in der Erwartung, irgendetwas in seinem Innern klingeln oder klappern zu hören.
    Natürlich hörte ich nichts.
    »Mister Krispin?«, erkundigte sich in diesem Moment eine Stimme hinter meinem Rücken.
    Ich ließ den Uroboros hastig in meinem Hemdkragen verschwinden und wandte mich um. In der offenen Verandatür wartete ein Hotelpage mit einem länglichen, in schwarzes Tuch gewickelten Gegenstand. Er deutete meinen Blickkontakt als Erlaubnis, näher kommen zu dürfen, derweil ich mich aus dem Stuhl stemmte und schwankend vor ihm stehen blieb.
    »Das hier wurde für Sie abgegeben, Mister Krispin.«
    »Mutashakir chales. Darf man erfahren von wem?«
    »Bedaure sehr, Mister Krispin.«
    Zögernd nahm ich dem Pagen das Paket ab. »Nicht besonders schwer«, befand ich. Der Livrierte trat einen Schritt zurück, machte aber keine Anstalten zu gehen. Vorsichtig befreite ich das geheimnisvolle Objekt aus dem Tuch und hielt schließlich einen Miniatursarkophag aus geschnitztem Palmholz in den Händen. Er maß etwa dreißig Zentimeter in der Länge und sah aus wie eine antike Schmuckschatulle. Ich suchte den Blick des Pagen, der das Behältnis aus irgendeinem unerfindlichen Grund dämlich anlächelte. Eine Bombe schien es also nicht zu beherbergen.
    »Sie müssen den Deckel in Längsrichtung schieben«, erklärte er, als ich erfolglos versuchte, die Schatulle aufzuklappen. »Aber vorsichtig.«
    Ich legte eine Hand auf den Deckel und drückte ihn nach vorn. Es funktionierte. In dem Holzkästchen befanden sich getrocknete Blütenblätter und ein zusammengerollter Papyrus. Als ich versuchte, die Schriftrolle herauszuangeln, erschien plötzlich ein winziger Schlangenkopf in der Öffnung. Ehe ich reagieren konnte, war das grazile Reptil bereits über meinen Handrücken geglitten und in meinem Hemdärmel verschwunden. Vor Schreck ließ ich das Holzkästchen fallen – eine Reaktion, auf die der Page offenbar gewartet zu haben schien. Blitzschnell tat er einen Schritt nach vorn und fing den Behälter auf, ehe er auf dem Boden zerschellen konnte.
    »Scheiße!«, schrie ich und begann panisch meinen Arm zu schütteln. »Verfluchte Scheiße! Dieses Viech … oh, shit!«
    »Sie wird nicht beißen, Mister Krispin.«
    Ich zappelte mit halb aufgeknöpftem Hemd über die Veranda. »Bitte?«, keuchte ich.
    Der Livrierte kam heran, legte vorsichtig seine Handfläche an meinen Hemdkragen und murmelte ein paar Sätze auf Arabisch. Ich fühlte etwas Dünnes, Warmes an meinem Nacken entlanggleiten. Als der Page die Hand wieder zurückzog, hatte sich eine kaum zwanzig Zentimeter lange Kobra um seine Finger geringelt und taxierte züngelnd ihre Umgebung.
    »Naja haje«, erklärte der Page lächelnd. »Es ist ein sehr alter ägyptischer Brauch, eine Nachricht von einer jungen Uräusschlange überbringen zu lassen.«
    »Ach, tatsächlich?« Ich stopfte mein Hemd zurück in die Hose, ohne dabei die Baby-Kobra aus den Augen zu lassen. »Davon habe ich noch nie etwas gehört.«
    »Naja haje symbolisiert Sieg oder Niederlage, Macht oder Ohnmacht – oder auch Leben oder Tod. Sie ist die Beschützerin einer sehr bedeutungsvollen

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