Morphogenesis
gegeneinander führten, wetterte er, bombardierten die Israelis beim dritten Mal wahrscheinlich Kairo. Also blieben wir im feuchten Schottland, wo mein Vater bis zu seinem Tod auf eine israelische Invasion Ägyptens wartete.
1989, als ich fast zwanzig war und mir theoretisch die Welt offen gestanden hätte, starben meine Eltern bei einem Schiffsunglück auf der Themse, als ein Vergnügungsdampfer mit einem Baggerschiff kollidierte. Von den fünfzig Menschen, die damals ihr Leben verloren, wurden sechs nie gefunden – unter ihnen auch mein Vater. Kurz und gut, ich studierte in Glasgow und bewohne das alte Haus am Loch Lomond noch heute. Doch das ist eine andere Geschichte …
Vierzehn Jahre früher, als ich noch ein frierendes, griesgrämiges Kind war, wurden meine Eltern beide berufstätig, um unser bescheidenes neues Leben finanzieren zu können. Mein Vater war bereits zur Mittagszeit zum Spätdienst in eine nahe Automobilfabrik gegangen, die Schicht meiner Mutter in einer Weberei begann abends um sieben. Da wir damals nicht einmal Fahrräder besaßen und es relativ früh dunkel wurde, nahm sie eine Taschenlampe mit sich, wenn sie das Haus verließ. Wie fast jeden Abend beobachtete ich meine Mutter vom Fenster meines Zimmers aus, wie sie die Straße entlangging, die parallel zu der grauen Häuserzeile verlief, in der wir nun wohnten. Sie mündete in einen Feldweg, der dem Bahndamm zum Industriegebiet folgte. Ich konnte diesen Weg zum Teil vom Fenster des Wohnzimmers aus überschauen. Zwischen unserem Haus und dem Feldweg lag ein schmaler Acker, auf dem im Sommer Mais wuchs. Er grenzte direkt an unseren Garten, und wenn ich weit genug ausholte, war ich in der Lage, einen Stein vom Garten über das gesamte Feld bis auf den Bahndamm zu werfen. Wir lebten direkt am Ortsrand, und unmittelbar hinter der Bahnstrecke stieg bereits karges Hügelland an.
Vom Fenster aus sah ich das Licht der Taschenlampe durch die Dunkelheit den Feldweg entlangwandern, bis es sich hinter einem kleinen Hain verlor, der mir die weitere Sicht auf den Weg versperrte. Meine Mutter machte auf dem steinigen Feldweg so lächerlich kleine Schritte, dass ihr Gang mehr ein flinkes Tippeln war. Das Reflektorgehäuse ihrer Taschenlampe tanzte in der Dunkelheit wie ein fettes, besoffenes Glühwürmchen.
Zu dieser Zeit wohnten meine Großeltern noch im Erdgeschoss des Hauses. Meinen Großvater sollte drei Jahre später eine Kombination aus Alzheimer und Parkinson dahinraffen, meine Großmutter bald darauf der Krebs.
Sobald meine Mutter mich allein ließ, schloss sie die Wohnungstür ab; aus Sicherheitsgründen, wie sie sagte. Unser Haus stand leider nicht in der besten Gegend. Manchmal übertrieb es meine Mutter und schloss mich zusätzlich in meinem Zimmer ein. Das wurde – mal von den Vorfällen abgesehen – spätestens dann problematisch, wenn ich pinkeln musste. In dringenden Fällen öffnete ich einfach das Fenster, kniete mich auf den Sims und pisste in hohem Bogen in den Vorgarten. Einmal ging es schief, und ich fiel kopfüber aus dem ersten Stock; glücklicherweise mit dem Rücken voraus in ein dichtes Gebüsch unterhalb des Fensters.
War lediglich die Wohnungstür abgeschlossen, knipste ich alle Lichter an und inspizierte die Räume. So fühlte ich mich sicher. An besagtem Abend jedoch gab es unerwartet einen Stromausfall, und zwar just in dem Augenblick, als ich auf dem Flur stand, von dem alle Zimmer abzweigten. Ich befand mich unvermittelt in vollkommener Dunkelheit und versuchte mich trotz des Schrecks zu orientieren. Links hinter mir befand sich mein Zimmer, links vor mir das Schlafzimmer meiner Eltern. Geradeaus ging es ins Bad, rechts davon ins Wohnzimmer. Rechts hinter mir machte der Flur einen Knick und führte zur Küche, und direkt hinter mir befand sich die verschlossene Tür zum Treppenhaus.
Zwei oder drei Minuten verharrte ich reglos auf der Stelle und traute mich nicht vom Fleck, bis unter der geschlossenen Küchentür ein schwacher Lichtschein hervordrang. Es war, als ob jemand die Tür des Kühlschrankes geöffnet hätte, dessen Innenbeleuchtung ungeachtet des Stromausfalles noch brannte. Vielleicht waren es die Scheinwerfer eines vorbeifahrenden Autos, die durch das Küchenfenster schienen. Auf jeden Fall trieb das Licht mich dazu, auf die Küche zuzurennen, um mich aus der Dunkelheit zu retten. Ich riss die Tür auf – und stolperte zu meiner Überraschung in die gleiche Schwärze, die auf dem Gang herrschte. All meine
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