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Morphogenesis

Morphogenesis

Titel: Morphogenesis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Marrak
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zerquetschte, durchlebte ich in diesen Augenblicken die schlimmsten Sekunden meines bisherigen Aufenthaltes in diesem Inferno. Am Ende verschwammen jegliche Formen zu einem rasenden Wirbel aus Dschungel, Limbus und dem grauen Dunst des Himmels.
    Es wird heilen, Krispin, schrie eine verzweifelte Stimme in meinem Kopf. Du wirst heilen, egal was passiert!
    Sie war ein schwacher Trost, wenn ich bedachte, dass Baal Anak den Flugwinkel falsch berechnen könnte. Dann würde ich womöglich mit einer Geschwindigkeit von fünfhundert Stundenkilometern zehn Meter zu tief gegen die Felswand knallen, um anschließend noch zweitausend Meter tief zu stürzen – hilflos verschnürt zu einer lebenden Kanonenkugel.
    Alles wird heilen …
    Der Gigant hielt den Atem an, dann verschwand der Druck auf meinen Körper, und ich schoss mit wahnwitziger Geschwindigkeit in den Himmel. Es hätte mich nicht gewundert, wenn ich durch die Reibungshitze der Atmosphäre in Flammen aufgegangen wäre. Aus Sekunden wurden Minuten, aus Minuten eine Ewigkeit. Land und Himmel rotierten um mich herum, und ich spürte mich bereits gegen die Felswand prallen, als ich endlich mit einem ungeheuren Schlag auf den Boden traf, wie eine Murmel noch eine beachtliche Strecke weiterrollte und letztlich mit weit aufgerissenen Augen liegen blieb.
    Ich lag im Gras, und kein einziges Organ in meinem Körper schien noch an seinem gewohnten Platz. Ein dunkler, wirbelnder Ball schoss über den nahen Horizont hinaus, stieg rasch zum Zenit empor und war verschwunden. Dann vernahm ich ein Brausen, und das fransige Knäuel schlug einhundert Meter von mir entfernt auf dem Boden auf. Es rollte an mir vorbei, wurde langsamer und kam schließlich in fünfzig Metern Entfernung zum Stillstand. Auch in Byrons Körper schien kein einziger Knochen heil geblieben zu sein. Er öffnete die Augen, entdeckte mich und brachte ein deformiertes Grinsen zustande.
    »Geronimo!«, rief er röchelnd. »Was für ein Flug!«
    Ich ließ den Kopf sinken und begann atemlos zu heulen.
    Die Stadt lag unter uns – wir befanden uns auf dem Limbus!
     
    Byron schaffte es als Erster, seinen Körper aus den ihn umschlingenden Ranken zu befreien. Die Qualen, die er dabei durchlitt, mussten unvorstellbar sein. Anstatt jedoch zu warten, bis er sich erholt hatte, robbte er zu mir herüber und half mir, das Rankengeflecht von meinem eigenen Leib zu zerren. Wir gebärdeten uns wie Tiere, zerbissen die Fesseln sogar mit den Zähnen, und mich beschlich dabei das Gefühl, als fände Byron sogar einen perversen Spaß daran. Meine Arme und Beine lösten sich aus der Lianenumklammerung wie kraftlose Palolowürmer. Wir wälzten uns so lange über den Boden, bis alle gebrochenen Gliedmaßen halbwegs gerade lagen, dann überließen wir unsere Körper dem Prozess der Heilung.
    Ich behielt die Augen geschlossen und konzentrierte mich auf den allgegenwärtigen Schmerz. Es knirschte und knackte in meinem Leib, als die Knochen wieder zusammenwuchsen. Alles in mir schien zu pulsieren und zu wandern, seinen richtigen Platz in dem schwammigen Etwas zu suchen, das mein Körper war. Gerissene Sehnen krochen durch mein Fleisch wie flink wachsende Wurzeln, Venen und Arterien schienen innere Blutungen aufzusaugen wie Schwämme, Arme und Beine wurden wieder gerade, die Wirbelsäule und gebrochenen Rippen wieder eins. Ich kam mir vor wie ein ins Leben zurückgerufener Vampir in einem billigen Gruselfilm. Schließlich ebbte der Schmerz ab, und ich hob vorsichtig meinen Kopf.
    Byron, der sich eher hatte befreien können, saß im Gras und kaute auf einem Pflanzenhalm. Als er merkte, dass ich mich bewegte, sah er zu mir herüber und grinste sein breites Grinsen.
    »Weißt du, was ich glaube?«, fragte er, verschränkte seine Arme hinter dem Kopf und ließ sich ins Gras zurücksinken. »Ich glaube, heute ist Sonntag!« Ein Stöhnen war die einzige Reaktion, derer ich fähig war. »Nein, im Ernst!« Er spuckte den Grashalm aus und starrte in den grauen Wolkenbrei über uns. »Heute ist Sonntag. Ich bin in die Berge gefahren, raus aus der Großstadt, weg vom Smog und vom Lärm, von den Menschenmassen und der Frustration – raus aus den alles erdrückenden, alles zerstörenden Slums. Ich konnte mich davonschleichen und habe einen dieser geheimen Plätze gefunden, irgendwo an den Hängen eines menschenleeren Hochtales, wo mich kein Schwein bei meinen Tagträumen stört. Um mich herum nur Einsamkeit, Stille und Natur …« Byron warf einen Blick

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