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Morphogenesis

Morphogenesis

Titel: Morphogenesis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Marrak
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in meine Richtung. »Was meinst du?«
    »Ich bin sicher, heute ist Montag. Der Himmel ist grau, und es wird bald regnen …« Ich sah in die Wolken. Sie hingen so greifbar nah und erdrückend über uns wie nie zuvor, doch selbst jetzt konnte ich keine Bewegung in ihnen ausmachen. »Du hast Baal Anak nicht die Wahrheit gesagt«, erinnerte ich mich. »Es gibt Französisch Somaliland nicht mehr. Das Land wurde wieder unabhängig. Es heißt jetzt Djibouti.«
    Byron zuckte nur die Schultern.
    »Ich vermisse den Regen«, gestand ich.
    »Oh, es gibt Sektoren, in denen es pausenlos regnet; Flammen, Schwefel, Feuerameisen.«
    Ich schüttelte angewidert den Kopf. »Diese Biester gehören zu den giftigsten Tieren der Welt …«
    »Dementsprechend unangenehm ist der Aufenthalt in diesem Sektor.«
    »Ich würde alles geben für eine Stunde echten Regens.«
    »Wirklich?« Byron richtete sich auf und sah mich erwartungsvoll an. »Selbst deine Seele?«
    »Mein Glaube an eine Seele wurde jüngst von einer Myriade Nanoroboter ausgerottet.« Ich schloss die Augen wieder. »Mein Vater«, brach ich nach einiger Zeit das Schweigen, »sagte einmal zu mir, das Leben sei ein Kampf gegen einen unsichtbaren Feind, den man nicht besiegen könne. Wer dieser Feind sei, dem wir vergeblich die Stirn geboten hätten, erführen wir erst nach unserem Tod. Nachdem meine Mutter und er bei einem Schiffsunglück ums Leben gekommen waren, habe ich versucht, Löcher in die Welt zu schlagen, um die andere Seite zu sehen – aber es gab nur Schmutz und Dunkelheit. Ich habe niemals an ein Leben nach dem Tod geglaubt, niemals an die Wiederauferstehung eines Jesus Christus oder an eine Hölle, in der die Sündigen bestraft werden. Ich war Wissenschaftler. Mein Leben bestand aus Fakten.«
    Byron sah mich für einen Moment mit großen Augen an, dann verengte er sie wieder zu den gewohnten schmalen Schlitzen und schüttelte traurig den Kopf. »Du bist ein hoffnungsloser Fall, Hippolyt.« Er erhob sich vorsichtig, als traue er seinen regenerierten Gliedern noch nicht. »Kannst du bereits laufen?«, wollte er wissen und sah sich dabei um, als versuche er, sich zu orientieren.
    »Was hast du vor?«
    Byron blickte in die Ferne. »Bevor wir deinen Fluchtgespenstern nachjagen und irgendwelche Ausgänge suchen, werden wir uns ein Bad gönnen. Der Fluss ist nur ein paar Kilometer entfernt.« Er lief ein paar Schritte und rief über die Schulter: »Na los, komm schon!«
    »Aber das Wasser ist brühend heiß«, entgegnete ich, während ich mich auf die Beine mühte.
    »Nein, ich glaube nicht, dass es schon hier oben kocht. Die heißen Quellen sind unten, bei den Selbstmördern.«
     
    Die Kante des Limbus war nur knapp einhundert Meter entfernt, doch die darunterliegende Stadt war von unserer Marschroute aus nicht zu erkennen. Hinter der Klippe befanden sich nur ihre Dunstglocke aus Smog und Rauch, das allgegenwärtige Grau und eigenartige kleine Objekte, die ich zuvor vom Boden aus nicht wahrgenommen hatte, da sie über der Dunstschicht flogen. Sie sahen aus wie ein riesiger Schwarm Mücken, der über der Stadt schwebte. Unzählige von ihnen kreisten zwischen Smogschicht und Pseudohimmel, aber sie waren viel zu weit entfernt, als dass ich hätte sagen können, um was es sich handelte.
    Nachdem ich mein Misstrauen gegenüber den verheilten Muskeln und Knochen überwunden hatte, schloss ich zu Byron auf. Vor uns erstreckte sich kilometerweit eine ebene Grassteppe, die nur vereinzelt von Gestrüpp oder einem einsamen Baum unterbrochen wurde. Es gab weder Schluchten noch Hügel, fast so, als sei diese Welt bereits seit undenklichen Zeiten geologisch tot. Alles war plan, und der kolossale Kessel, den der Limbus umschloss, wirkte, als sei ein unermesslicher Hohlraum eingestürzt. In gegenüberliegender Richtung verlor die Ebene sich nach wenigen Kilometern in dichtem Nebel, der den Horizont verschluckte.
    »Was hast du hier oben erwartet?«, rief Byron, als ich eine Bemerkung über die Einöde fallen ließ. »Ein riesiges leuchtendes Schild mit der Aufschrift: EXIT?«
    »Dante beschrieb den Limbus als wesentlich belebter«, kam mir der literarische Vergleich in den Sinn, »bevölkert von ungetauft Gestorbenen und vorchristlichen Gerechten.«
    »Das ist siebenhundert Jahre her.«
    »Klingt beinahe, als käme jedes Jahrhundert ein neues Modell des Infernos auf den Markt.«
    »Die Hölle ist immer auf dem neuesten Stand.« In der Ferne war ein silbernes Band sichtbar geworden, fast

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