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Morphogenesis

Morphogenesis

Titel: Morphogenesis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Marrak
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Dunst.
    Je näher wir dem Zentrum kamen, desto finsterer wurde es. Die Nasu flog knapp unter der Wolkendecke, einem stinkenden, ätzenden Brodem aus Asche, Rauch, Nebel und Smog. Es roch nach Ammoniak und Schwefel, verbranntem Horn und Fleisch, nach Chlor, Brom und Verfaultem. Unsere Geschwindigkeit war enorm. Ich konnte im Flugwind kaum den Kopf gerade halten. Meine Haut schlug Wellen wie eine Flagge im Sturm, und meine Wangen flatterten, dass ich fürchtete, sie könnten sich von meinen Jochbeinen lösen. Von meiner ohnehin ramponierten Kleidung wehten irgendwann nur noch Fetzen an mir.
    Nach einigen Stunden bildete ich mir ein, in der Ferne keine Häuser mehr zu sehen, doch das konnte auch an der mittlerweile herrschenden Dunkelheit liegen. Dann, als die Finsternis fast greifbar war, wandelte sich der Fluss zu einem weiten Delta, während die Stadt in Sumpf und Moor zu versinken schien. Unter uns lagen die Sümpfe, bedeckt von Dunst und einem alles verschleiernden Teppich aus Dampf. Weit vor uns befand sich eine Art Turm, eine riesige Säule oder ein Kamin, der bis in die Wolkendecke hinaufragte. Er sah aus, als würde er von Scheinwerfern angestrahlt oder besäße eine Aureole, die ihn erst sichtbar werden ließ. Ich kniff die Augen zusammen, aber das Bauwerk war zu weit entfernt und zu schemenhaft, um zu erkennen, worum es sich handelte.
    »Die Sümpfe!«, zirpte in diesem Augenblick die Nasu. »Au revoir!«
    Plötzlich öffneten sich die Fliegenbeine unter mir, und ich befand mich im freien Fall. Mein Herz setzte zwei Schläge aus, indes meine gesamten Innereien in meinen Kopf zu schießen schienen. Ich schrie in Panik auf, ruderte mit Armen und Beinen, um irgendeinen Halt zu fassen, doch da war nichts. Die Nasu hatte mich fallen gelassen! Dieses gottverdammte Scheusal hatte mich einfach fallen gelassen!
    Der Sumpfboden stürzte mir viel zu schnell entgegen, als dass ich begreifen konnte, was überhaupt geschah. Sollte ich mit den Füßen voran aufschlagen, würde ich höchstwahrscheinlich wie ein Spargel im Moor stecken bleiben. Tat ich es mit meiner Breitseite, dann würde ich vermutlich nur einen Meter tief einsinken, aber über die zehnfache Fläche verteilt werden.
    Also zusammenrollen, die Knie zwischen die Arme klemmen, die Luft anhalten und hoffen, dass es so richtig schön klatscht!
    In welcher Körperhaltung mein Bodenkontakt letztlich zustande kam, konnte ich im Nachhinein nicht mehr genau sagen. Ich vernahm ein Geräusch, das sich anhörte, als bräche man eine Hand voll dünner Äste in der Mitte entzwei, und wusste, dass es mindestens die Hälfte meiner Knochen gewesen waren.

 

     
     
    »Wachen Sie auf, Mister Ka!«
    Er öffnete mühsam die Augen und blickte an eine Zimmerdecke, ohne im ersten Moment zu begreifen, dass es nicht der Himmel war, dann sah er sich benommen um. Keine Felder mehr, keine schwer dahinziehenden Wolken, kein Regen aus Rost und Blut, keine Erzenen. Sie hatten ihn in der Nebelschlucht aufgegriffen und wieder ins Sanatorium zurückgebracht. Seine Arme schmerzten von den Stichen der Injektionsnadeln, sein gesamter Körper schien äußerlich wie innerlich eine einzige Wunde zu sein. Das Gesicht von Schwester 26 tauchte in seinem Sichtfeld auf. Sie beugte sich heran, warf kurz einen Blick über ihre Schulter und musterte schließlich Ka.
    »Wissen Sie, wo Sie sich befinden?«
    »In der Hölle«, antwortete er schwach.
    »Ganz und gar nicht. Zumindest noch nicht.« Die Schwester wandte sich dem Mann im weißen Kittel zu, der ihr bereits vor Kas Flucht aus dem Sanatorium assistiert hatte. Ka wollte den Kopf heben, spürte zu spät die Halsschelle und drückte sich die Kehle ein. Hustend sank er zurück und schluckte widerlich schmeckenden Speichel herunter.
    »Ich möchte nicht, dass der Patient während seines Aufenthalts noch einmal den Sicherheitsbereich verlässt, haben Sie verstanden, 87155?«, herrschte die Frau den dickgesichtigen Assistenten an. Der Weißkittel murmelte eine leise Antwort. Die Schwester sah wieder auf Ka herab. »Wie geht es Ihnen?«
    »Ich habe Durst«, flüsterte er. »Bitte geben Sie mir einen Schluck Wasser.«
    »Wie geht es Ihnen?«, wiederholte die Frau ihre Frage.
    Ka schloss resigniert die Augen. »Es geht mir gut.« Seine Stimme war nur ein Flüstern. »Ich bin ein schutz- und pflegebedürftiges Ka- Fragment. Die Aura des Sanatoriums erfüllt mich mit Liebe und Wärme …« Ihm war bewusst, dass jedes seiner Worte protokolliert, jede

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