Morphogenesis
deutete auf mich.
»Der da? Ist der Kriecher etwa entwischt?« Das Fliegengeschöpf sank ruckartig tiefer. »Du!«, herrschte sie mich an. »Was hast du auf dem Limbus zu suchen?«
Ich blickte wie versteinert in die Fliegenfratze. Ansätze von Fühlern wuchsen aus dieser Karikatur eines Gesichtes.
»Antworte!«, schrillte die Nasu und schlug mit einem ihrer dornenbewehrten Vorderbeine zu. Es war, als hätte mich ein Morgenstern getroffen. Die Wucht des Hiebes wirbelte mich meterweit durch die Luft, und noch bevor ich auf dem Boden aufschlug, legte sich ein blutiger Schleier über meine Augen. Ich blieb zusammengekrümmt liegen, überwältigt vom Schock des Hiebes und dem alles beherrschenden Schmerz, der sich in meiner Brust und in meinem Gesicht ausbreitete. Ich bekam keine Luft mehr, und als ich auf meine Brust blickte, erkannte ich auch, warum: Mein Körper war zerfetzt, der gesamte Brustkorb aufgerissen. Er sah aus, als wäre in meiner rechten Lunge ein Sprengsatz explodiert. Gebrochene Rippen ragten aus der klaffenden Wunde wie Marterpfähle, und ich sah einen Teil meines schlagenden Herzens und die Reste meiner Lungenflügel. Die Wunde verlief über meinen aufgerissenen Hals bis zu meinem erblindeten rechten Auge. Fetzen meiner Kleidung und meines Brustkorbes hingen an den Dornen des Fliegenbeines.
»Schluss damit!«, rief Meret. Ihr Hinterleib verwandelte sich blitzartig, die Schwanzspitze mit dem Giftstachel schoss in die Höhe wie eine Harpune. Mit einem dumpfen Krachen durchbohrte sie den chitingepanzerten Unterleib meines Angreifers, ehe dieser an Höhe gewinnen konnte. Die Nasu gab ein schrilles Pfeifen von sich, das in ein erbärmliches Gurgeln überging, dann plumpste sie zu Boden. Ihre riesigen Flügel schwirrten in wilder Agonie, wirbelten Gras, Erde und Steine durch die Luft. Schließlich erlahmten ihre Bewegungen, und sie lag still. Aus dem gesamten Leib des Ungetüms quoll ätzender, zischender Schaum, unter dem das Gras zusammenschrumpfte.
Die beiden übrig gebliebenen Nasu zogen es vor, Abstand zu Merets peitschendem Dornenschwanz zu gewinnen, wobei sie finster auf uns herabblickten.
»Das wird Folgen haben, Meret!«, zirpte eine von ihnen.
Die Hybride bildete mit ihrem Schlangenleib einen schützenden Wall um mich, indes ich verzweifelt nach Luft rang. Der Schmerz der Wunde und die Erstickungsqual ließen die Welt um mich herum zu bunten Kreisen zerplatzen. »Es wird heilen«, versprach Meret, deren Gesicht ebenfalls von mühsam beherrschtem Schmerz gezeichnet war. »Ich habe dich vor ihnen gewarnt. Sie unterstehen Hath. Wenn du immer noch vorhast, dem … Architekten der Duat gegenüberzutreten, dann wirst du auch ihm begegnen …«
Ich wollte etwas erwidern, aber wie sollte ich ohne Kehlkopf? Obwohl der Schmerz immer grausamer wurde, blieb mir eine gnädige Ohnmacht verwehrt. Was konnte ich tun? – Meret durch stumme Gesten bitten, mir ihren Stachel ins Hirn zu bohren?
Leide, Kematef!, spottete Giza. Schenke der Hölle ihren Sinn!
Ich erkannte hinter dem Schmerz in Merets Augen so etwas wie Anteilnahme. Mitleid für jenes Aphoes- Wesen, das in der realen Welt mit mir vereint war und das sie liebte. Aber auch etwas anderes: Den Vorwurf, dass es mir nur recht geschähe, zerfetzt vor ihr zu liegen.
»Bist du sicher, dass es die Qual wert ist, noch einmal vor Thots Augen zu treten?«, fragte Meret. »Was dir angetan wurde, war nur das Werk eines seiner Geschöpfe. Glaubst du wirklich, an dem Ort, an den du gelangen willst, herrscht Barmherzigkeit? Wie, glaubst du, wird Thot wohl Gericht über dich halten für die Dreistigkeit, ihm unter die Augen zu treten?«
In der blutigen Fleischmasse, die mein Gesicht war, öffnete und schloss sich nur ein stummer Schlund, dem die Stimmbänder fehlten. So blieb mir nichts anderes übrig, als zu nicken, während in meinem heilen Auge ein entschlossenes Feuer erglomm, zu dem sich die Wut und der Schmerz gesellten.
Merets Schlangenleib bebte, während die beiden Fliegenmonster das Geschehen aus sicherer Entfernung verfolgten. Sie hatten sich an der Klippe des Limbus niedergelassen und beobachteten uns. »Du hast mir etwas versprochen, als wir uns in deiner Welt trafen«, erinnerte mich Meret. »Nicht ich habe dich auserwählt, Kematef, sondern du mich! Waren es denn nicht schon genug Qualen, die du ertragen musstest? Willst du all das, was ich dir geben kann, gegen die endlose Verdammung eintauschen und mich mit dir reißen? Was damals in Kairo
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