Morphogenesis
Meilen?«, fragte eines der Fliegenmonster.
»In Statute-Meilen oder geographischen Meilen?«, das andere.
»Ersteres genügt.«
»Weit über zweitausend Kilometer. Und noch einmal fast dreihundert bis zur Axis«, erläuterte die Nasu rechts von mir. »Aber diese Strecke wirst du zu Fuß bewältigen müssen, denn wir bringen dich nur bis ans Ufer der Sümpfe.«
Allmächtiger! Das würde bedeuten, dass Elijah Recht gehabt hatte und die Stadt tatsächlich einen Durchmesser von über fünftausend Kilometern besaß – mit einem sechshundert Kilometer breiten Sumpf in ihrer Mitte!
Nach kurzem Zögern lag ich auf den zusammengefalteten Beinen einer der beiden Nasu wie ein Fakir auf einem Nagelbrett. Glücklicherweise wuchsen ihr die Dornen in einem für mich günstigen Winkel aus dem Bein, der nur die wenigsten von ihnen in mein Fleisch dringen ließ. Dennoch ruhte ich äußerst unbequem. Die Dornen waren so lang wie Dolchklingen, und ich fühlte mich wie auf riesige Rosenstengel gebettet. Der Fliegenleib stank widerwärtig, ich sehnte mich nach dem erlösenden Wind des Fluges.
»Kematef …«
Ich verdrehte den Hals und spähte zurück. Meret trat neben die Nasu. »Solltest du dein Ziel tatsächlich erreichen, wirst du der Achtheit begegnen …« Täuschte ich mich, oder flackerte in Merets Augen Furcht? »Egal, was sie zu dir sagen werden, höre nicht auf sie!«, beschwor sie mich. »Gehe niemals auf ihre Worte ein. Niemals!« Dann wandte sie sich abrupt um und schritt davon, in Richtung Horizont.
»Wohin gehst du?«, rief ich ihr nach.
»In den Garten Jaru.« Sie verharrte für einen Moment, dann sagte sie: »Ich möchte auf dein Versagen vorbereitet sein, um zumindest den Aphoes retten zu können. Solltest nicht du, sondern Thot deinen irdischen Körper in Besitz nehmen, werde ich zur Stelle sein.«
»Du willst Thot entgegentreten?«
»Nein«, widersprach Meret. »Dich töten!«
Der Leib der Nasu begann zu vibrieren, gleichzeitig ertönte wieder das dröhnende Brummen ihrer Flügel. Ohne Vorwarnung stieg das Ungetüm in die Höhe. Ich krallte mich an die Dornen, als es die Klippe überflog und sich unvermittelt zweitausend Meter Leere unter mir befanden. Die Nasu flog unglaublich schnell, und der mir entgegenwehende Sturm raubte mir fast den Atem. Im Nu hatten wir eine Strecke zurückgelegt, für die ich zu Fuß Tage benötigt hätte. Bereits nach kurzer Zeit durchquerten wir den Schwarm ihrer Artgenossen, und ich fühlte mich unvermittelt wie in einer Luftschlacht. Hunderte von Nasu kreisten um uns herum, ihr Flügelschwirren steigerte sich zu infernalischem Getöse. Schrille Stimmen wurden laut, als wir zwischen ihnen hindurchflogen, und verstummten ebenso schnell wieder.
»Wen hast du denn da, Smeersth?« – »Hast du eine Wette verloren, Smeersth?« – »Du hast da was Ekliges an den Beinen hängen, Smeersth!« – »Bist du auf Hochzeitsreise, Smeersth?« – »Wohin willst du denn mit dem Kriecher, Smeersth?« – »Hurtig, hurtig, Smeersth!« Und so weiter.
Die Nasu schwieg tapfer, und der Schwarm ihrer Artgenossen blieb alsbald hinter uns zurück. Unter mir zogen die Sektoren vorüber, durch die ich mich – wie auch immer – hindurchgeschlagen hatte; Babylon, der Tempersektor, das brennende Rom, die Demagogen-Paläste, Elijahs Turm … Das feuerspuckende Ungetüm auf dem Dach des Wolkenkratzers, das ich anfangs für die Attraktion eines Vergnügungsparks gehalten hatte, war tatsächlich ein Drache! In der Ferne sah ich die Flammen des Branntweinsees, und ich glaubte sogar, Merets Palais zu erspähen, von dem aus meine Odyssee begonnen hatte. Weitere, bislang unbekannte Abschnitte tauchten auf; Gebäude aus wuchtigen Felsen, Stadtviertel, die Slums ähnelten, trutzige Burgen, Sektoren, die kreisrund angelegt waren, solche, deren Gebäude aussahen, als seien sie aus Knochen errichtet, und andere, die sich zu bewegen schienen und über den Boden glitten wie riesige Schnecken. Stadtteile, deren Häuser und Türme aus Fleisch zu bestehen und zu bluten schienen, brennende Sektoren, rot glühende oder pechschwarze, als seien sie aus Kohle, Schlacke und Verbranntem errichtet. Ich entdeckte weitflächige Industriegebiete mit qualmenden Schloten, Kraftwerke, Bahnhöfe und Kathedralen. Durch alles hindurch schlängelte sich der Fluss, dem die Nasu folgte, mit seinem zunehmend dreckiger und ungesünder aussehenden Wasser, verschwand ab und zu in unterirdischen Kanälen und verlor sich weit vor uns im
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