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Morphogenesis

Morphogenesis

Titel: Morphogenesis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Marrak
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passiert ist, wäre ohnehin passiert. Ich bin nicht als Dämon zu dir gekommen, um dich in die Finsternis zu zerren, sondern um dich davor zu retten. Sechs irdische Nächte hätten genügt. Begreifst du es denn noch immer nicht? Thot missgönnt uns allen, wozu er nie fähig sein wird: Sarara wenigstens für die kurze Zeitspanne eines Menschenlebens wieder zu entkommen. Musst du denn erst seine Grausamkeit und seinen Hass erfahren, um dies zu erkennen?«
    Ich starrte sie an. Selbst der übermächtige Schmerz war bei Merets Worten in den Hintergrund getreten. Einen Augenblick lang kreuzte mein Blick den starren Augenausdruck Byrons, der nach wie vor leblos im Gras lag. Seine Augenfarbe hatte sich verändert. Waren seine Pupillen zuvor stahlblau und von orangeroten Sprenkeln durchsetzt gewesen, schimmerten sie nun in einem tiefen Braun, das auf gelblichen Augäpfeln schwamm; mit Sicherheit die wahren Augen Shabani Ildou Bouralehs …
    Ich streckte meinen Arm nach Meret aus, während ich mit der anderen Hand meine klaffende Wunde zusammenhielt. Es würde etliche Stunden dauern, bis sie sich schließen würde und ich die ersehnte Luft in eine verheilte Lunge saugen durfte.
    Zum ersten Mal, seit ich an diesem Ort war, wünschte ich mir, ich könne sterben …
     
    Ich tat es nicht.
    Qualvoll langsam schloss sich mein Brustkorb. Die Rippen sanken zurück ins Fleisch wie eine sich zeitlupenhaft schließende Venusfliegenfalle, und irgendwann begann ein neuer Augapfel meine leere rechte Augenhöhle auszufüllen. Mit dem ersten Licht, das durch die nachgewachsene Pupille fiel, gelang mir auch der erste mühevolle Atemzug. Irgendwann zeugte von der schrecklichen Verletzung nur noch zartes hellrotes Fleisch, das vom Bauchnabel über den Hals bis zur Stirn reichte.
    Ich setzte mich vorsichtig auf und sog die herrlich stinkende Luft literweise in meine Lungen. Der Leib der getöteten Nasu hatte sich völlig zersetzt. Nur eine dünne Chitinhülle war von ihr übrig geblieben und raschelte wie Papier, während sie in sich zusammensank. Byron war noch immer jenseits von Gut und Böse. Wenn ich bedachte, dass das gleiche Säure-Giftgemisch, welches dem Fliegenmonster den Garaus gemacht hatte, auch seinen Körper erfüllte, beschlich mich das Grauen. Wahrscheinlich war er sogar bei Bewusstsein, derweil sein Körper sich innerlich unentwegt zersetzte und wieder regenerierte, solange die Wirkung der Substanz anhielt. Er musste unvorstellbare Qualen leiden. Oder auch nicht, falls sein Gehirn in den Vorgang miteinbezogen war. Ich wünschte ihm Letzteres.
    Meret hatte sich wieder in den Sahia-Körper zurückverwandelt und saß neben mir im Gras. Ihr Blick war erschreckend leer.
    »Sie warten auf dich«, sagte sie. Ich sah hinüber zu den übrig gebliebenen Nasu, die immer noch geduldig auf der Klippe hockten und auf Kobe miteinander stritten. »Sie werden dich ins Zentrum der Duat bringen. Ich hoffe für dich, dass sie ihr Versprechen einhalten. Es gibt hier keinen Gott, der dir Gnade gewährt, falls sie es nicht tun.«
    Ich blickte in die düstere Ferne, wo die Sümpfe liegen mussten. »Du wirst mich nicht begleiten?«
    Meret lachte krampfhaft auf. »Ich werde immer bei dir sein«, flüsterte sie. »Auch wenn du ihm gegenübertrittst.«
    Ihre Lippen zuckten, sie bemühte sich, meinem Blick auszuweichen. Diese äonenalte Kreatur in der Gestalt eines wunderschönen ägyptischen Mädchens kauerte vor mir im Gras wie ein Harianopfer, das sich seines Schicksals nicht erwehren konnte. Ich sprang über meinen Schatten, nahm ihren Kopf und küsste sie auf die Stirn, auf ihre Augen und auf den Mund. Alles fühlte sich an wie bei einem Menschen. Wenn ich es nur nicht besser gewusst hätte …
    Meret schenkte mir einen unergründlich tiefen Blick, in dem so viel lag, dass es mir unmöglich war, ihm standzuhalten.
    »Was wird aus Byron?«, fragte ich.
    »Um den werde ich mich kümmern«, versprach Meret. »Aber du wirst ihn niemals wiedersehen.«
    Ich nickte. Dann erhob ich mich und lief auf die beiden riesigen Fliegen zu. »Wie soll das funktionieren, ohne dass ich mich verletze?«, fragte ich und betrachtete argwöhnisch die dornenbewehrten Beine, die so dick waren wie Laternenpfähle.
    »Ein bisschen Spaß muss sein«, zirpte die Nasu, der ich am nächsten stand.
    »Wenn du nicht zappelst, dann gibt’s nur ein paar Löcher«, versprach die andere.
    Ich sah über die Klippe hinweg. »Wie weit ist es bis ins Zentrum?«
    »In Kilometern oder

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