Morphogenesis
schleiften über den Boden, während sein Oberkörper vom Griff der Schwester in der Luft gehalten wurde. Kas Kopf war nach hinten gesunken, und er konnte bergan blicken, auf eine Metallkonstruktion, die – einem Sendemast ähnlich – gen Himmel wuchs; ein gedrungener Turm aus Gittern und Streben, dekoriert mit wild im Sturm pendelnden Skeletten. Die gesamte Szenerie stand Kopf, schwankte und schaukelte mit Kas kraftlos pendelnden Haupt, verzerrt durch die Tränen in seinen Augen.
Am Mast angekommen, ließ die Schwester Ka zu Boden fallen und drehte ihn mit ihrem Fuß auf den Rücken, sodass er über die Felder blicken konnte.
»Hören Sie ihn?«, fragte sie.
Ka schüttelte mühsam den Kopf. »Nein«, presste er unter Schmerzen hervor. »Was meinen Sie?«
Die Frau sah auf ihn herab. »Das ist das Los der Toten: Taubheit und Blindheit.«
»Ich lebe noch.«
»Sind Sie sicher?« Sie zog Kam eine sitzende Stellung und deutete in die Wolken. »Wohnen Sie dem Schisma bei, das sie zu verantworten haben, Mister Ka. Es ist ein Schauspiel für die Ewigkeit, einer letzten Erinnerung würdig. Kein Iretmeth hat je solch ein Verbrechen gegen ihn begangen wie Sie. Und wofür? Für etwas so Ephemeres wie Erkenntnis. Hören Sie genau hin, Mister Ka. Gott jubelt für die Toten!«
Zuerst sah er nur Schatten, vier an der Zahl, die die Wolken verdunkelten. Sie bewegten sich mit ungeheurer Geschwindigkeit und erzeugten ein unheimliches Singen, das sich mit ihrem Näherkommen zu einem ohrenbetäubenden Heulen steigerte. Als sie schließlich aus den brodelnden Wolken hervorbrachen und im Licht des Sonnenuntergangs erglühten, stockte Ka der Atem. Er erkannte ein finster blickendes Auge, den Teil eines Mundes, ein Ohr, eine abgebrochene Nasenpartie, den Stumpf eines Horns …
Mit unvorstellbarem Getöse stürzten die Trümmer des riesigen Steingesichts auf die Ebenen nieder, um – sich überschlagend und wie waidwunde Tiere durch die Atmosphäre torkelnd – in gigantischen Fontänen aus Knochenstaub und verbrannter Erde wieder in den Himmel aufzusteigen. Schwerfällig bahnten sie sich ihren Weg zurück durch die Wolken und wurden schließlich wieder von ihnen verschluckt.
Im selben Augenblick erschütterte ein heftiges Beben den Untergrund. Ka krallte seine Finger in den zitternden Boden. Wenige Meter vor ihm brach der Fels auf, ein tiefer, meterlanger Spalt klaffte innerhalb kurzer Zeit im Gestein.
»Warum bleiben die Trümmer nicht liegen?«, rief Ka erstickt.
»Weil der Plan noch immer Gültigkeit besitzt. An jedem Ort des Gartens können seine Bruchstücke fortan fallen und alles unter sich zermalmen, wieder und wieder. Nie wird es ihm gegönnt sein, auf den Ebenen seine Ruhestätte zu finden, bis die Maschine zerstört ist und seine Trümmer selbst zu Staub zermahlen sind. Welch ein Delikt gegenüber dem Plan, Mister Ka! Welch ein Delikt!«
Sie packte Ka und schleifte ihn hinüber zum Sendemast. Dort angekommen, lehnte sie ihn gegen eines der Turmbeine. Mit der freien Hand ergriff sie eine massive, von einem Ausleger herabhängende Kette und schlang sie Ka mehrfach um Oberkörper und Arme.
»Was – haben Sie vor …?«, keuchte er.
»Ich bringe Sie an Ihren Platz.« Die Schwester beugte sich heran und hauchte ihm einen stahlkalten Kuss auf die Lippen. »Es ist aufrichtiger, für den Plan zu sterben als für die Erkenntnis zu leben, Mister Ka!« Mit unmenschlicher Kraft zog sie die Kette an. Ka schrie auf, wurde von einer Art Seilzug in die Höhe gerissen und schoss der Turmspitze entgegen, bis er zwanzig Meter über dem Boden schwang. Dann hielt die Schwester inne und befestigte die Kette an einer Strebe des Mastes. Halb besinnungslos vor Schmerzen, hing Ka in Eisen geschlagen und sah in die Tiefe. Seine Schultergelenke waren gebrochen, dickes Blut quoll ihm aus der Brustwunde und der Nase.
Der Körper der Schwester flackerte wie eine Bildstörung, während sie bedächtig rückwärts schritt und ihr Werk zu begutachten schien. Dann löste sich in ein strahlend grelles Licht auf, das dem Flusslauf folgte und am Horizont verschwand.
Der Prozess der Heilung war langwierig und qualvoll, doch ich konnte zumindest nach kurzer Zeit wieder atmen. Glücklicherweise war ich nicht ins Wasser gestürzt, sondern auf nachgiebigen, mit Moos und Sumpfgras bewachsenen Grund. Neben und unter meinem zerschmetterten Körper gurgelte und blubberte es, als die Mulde, die ich geschlagen hatte, sich langsam mit brackigem
Weitere Kostenlose Bücher