Morphogenesis
Fluggeschwindigkeit von 8000 Stundenkilometern! Herzlichen Glückwunsch, Krispin, du bist soeben von Außerirdischen entführt worden!
In diesem Moment beherrschte mich nur noch ein Gedanke: Raus aus diesem Flugzeug, oder was immer es auch war, ehe es wieder startete und mich in einer halben Stunde auf dem Mond absetzte!
Ich sprang auf, drängte die Stewardess beiseite, lief zum Ausgang und stürzte die inzwischen angedockte Gangway hinunter. Als ich festen Boden unter den Füßen hatte, blieb ich stehen und sog die kühle Luft tief in meine Lungen. Vor der nächsten Flugetappe brauchte ich unbedingt eine Apotheke; irgendetwas, das schnell und sanft wirkte. Einen Downer, der mich glücklich lächeln ließ, während die Maschine abstürzte. Ohne Valium würde ich in kein Flugzeug mehr steigen.
Ich warf einen Blick auf die riesige, stetig näher kommende Nebelbank. Die Wolke rief mir den Piloten in Erinnerung, und ich lief vor den Flugzeugbug. Zwar bestand zwischen meinem Blickwinkel und der Kanzel ein Höhenunterschied von über drei Metern, doch dies hinderte mich nicht daran, zu erkennen, dass das Cockpit leer war.
»He, Sie da drüben!«, ertönte eine Stimme hinter mir und ließ mich herumwirbeln. Ein Wartungstechniker war auf mich aufmerksam geworden. »Zur Abfertigungshalle geht es dort hinüber!«, schrie er in gebrochenem Englisch gegen den Lärm des Flughafens an. »Bewegen Sie sich! Na los, gehen Sie!« Er kam verärgert näher. In einer Hand trug er eine lange, in einem spitzen Haken endende Stange, mit der er höchstwahrscheinlich die Fahrwerkschächte kontrollierte. Sein Gesicht mit den weit aus ihren Höhlen tretenden Augen zeigte Missbilligung, und seine Zähne sahen aus, als wären sie spitz zugefeilt. Drohend schwang er sein Werkzeug. »Gehen Sie!«, schrie er. »Gehen Sie!«
Ich wich zur Seite aus und lief in Richtung Abfertigungshalle. Der Techniker verharrte, als ich zügig davonschritt, und beobachtete meine Flucht voller Argwohn.
»Beeilen Sie sich, Sportsfreund!«, maulte er mir hinterher. »Und gehen Sie, gehen Sie!«
Schweißgebadet erreichte ich das Gebäude. Kaum hatte ich die Halle betreten, begann auf dem Flugfeld das Schneetreiben. Nach der Passkontrolle kaufte ich mir im erstbesten Duty-Free-Shop eine Dose Bier, um meine flatternden Nerven zu beruhigen. Dann stellte ich mich unter eine Ventilationsanlage mit Warmluft und beobachtete durch die dicken Glastüren, wie sich innerhalb kürzester Zeit eine beachtliche Schneedecke über das Flugfeld legte. Niemand schien sich daran zu stören, es fuhren auch keine Fahrzeuge auf, um den Schnee zu beseitigen. Ich wanderte durch die Halle und orientierte mich an den Schildern für die Gepäckabfertigung. Am Förderband angekommen, lauerte ich auf meine Reisetasche. Nach zehn Minuten kam mein Gepäck endlich zwischen den Gummitüren herausgedümpelt. Laut Anzeigetafel ging mein Anschlussflug nach Craiova in knapp vierzig Minuten; Zeit genug, um mich zu besinnen und meine Gedanken zu ordnen. Samt Gepäck stellte ich mich an ein Panoramafenster und beobachtete, wie die Rollbahnen – nein, die gesamte Außenwelt – unter dem unablässig niedergehenden Schnee verschwand. Jenseits des Fensters nahm ich keine Bewegung mehr wahr. Alle Aktivitäten auf dem Flughafen schienen eingestellt worden zu sein.
Etwas stimmt nicht, mahnte Giza. Denk nach, Krispin! Irgendetwas läuft hier völlig falsch!
Ich zog mein Handy aus der Manteltasche und versuchte, eine Verbindung zu Károly herzustellen, bekam aber nur statisches Rauschen. Der verdammte Schneesturm blockierte den Funkverkehr. Als ich jedoch sechs Telefonzellen aufgesucht und mein gesamtes Wechselgeld in ihren Münzschlitzen versenkt hatte, um mich mit dem gleichen Ergebnis konfrontiert zu sehen, gab ich frustriert auf. Zum Henker mit dem Wetter. Ich stellte mich wieder ans Fenster, nippte hin und wieder am Bier und ließ meine Gedanken schweifen. Wie lange ich nach draußen gestarrt hatte, wusste ich im Nachhinein nicht mehr. Irgendwann hob ich die Bierdose, ließ den letzten Schluck in meine Kehle rinnen und warf einen verstohlenen Blick über meine Schulter.
Hinter mir war niemand mehr.
Ich verschluckte mich, als ich das gesamte Ausmaß dieser Tatsache erfasste: Es war kein Mensch mehr da, ich stand mutterseelenallein in der verwaisten Flughalle.
»Hallo?«, rief ich verblüfft. Erwartungsgemäß erhielt ich keine Antwort. Ich warf die Bierdose in einen Abfalleimer und lief in die Mitte der
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