Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Morphogenesis

Morphogenesis

Titel: Morphogenesis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Marrak
Vom Netzwerk:
Wellen. Vor uns erstreckte sich die bergige Küste Kleinasiens, das Taurus-Gebirge, dahinter Anatolien. Die schroffen Berghänge zogen im Nu unter uns hinweg, und bevor ich mich versah hatten wir die gesamte türkische Halbinsel überflogen. Zeitraffergleich veränderte sich das Panorama. Wie aus dem Nichts tauchten das Marmarameer und der Bosporus mit den Prinzeninseln und Istanbul auf, dahinter schimmerte das Schwarze Meer.
    Irgendetwas stimmte hier nicht … Ich sah auf die Uhr. Sie zeigte 11:28. Ich stutzte und hielt sie ans Ohr, um zu kontrollieren, ob sie vielleicht stehen geblieben war, doch sie lief. Ihr gleichmäßiges Ticken war für Sekunden das lauteste Geräusch im ganzen Flugzeug. Als die Maschine auf der Landebahn des Istanbuler Flughafens ausrollte, waren ihre Zeiger gerade einmal vier Minuten weitergerückt.
    Lieber Himmel, das konnte nicht sein! Befand ich mich auf einer Zeitreise, oder hatte ich mich so an die Lethargie der Ägypter gewöhnt, dass mir die Realzeit außerhalb dieses Landes überhaupt nicht mehr bewusst war?
    Ägyptische Uhren gingen anders, die Menschen dachten in Jahrzehnten und wussten, dass alles seine Zeit brauchte. Seit Jahrtausenden lebte dieses Volk bereits auf dem selben Flecken Erde und hatte Parvenü-Völker wie die Perser, Griechen, Römer und Engländer kommen und gehen sehen. Es besaß eine Ruhe, die für einen modernen Menschen unverständlich war. Wenn man auf eine sechstausendjährige Vergangenheit zurückblickt, ist eine verlorene Stunde nicht mehr wichtig. Dennoch erklärte dies nicht, warum wir für zwölfhundert Kilometer Flugstrecke lediglich zwanzig Minuten benötigt hatten, falls ich der Anzeige meiner Uhr trauen durfte. Das hätte einer Fluggeschwindigkeit von 3700 Stundenkilometern entsprochen!
    Zu meiner Überraschung stiegen in Istanbul keine weiteren Fluggäste zu. Im Gegenteil, die beiden Passagiere, die sich außer mir im Flugzeug befanden, verließen die Maschine. Als der Jet sich um 11 Uhr 51 schließlich wieder in der Luft befand, war ich – abgesehen von der Besatzung – der einzige Mensch an Bord. Ich fühlte mich unbehaglich. Die mächtige Nebelbank zog tatsächlich in nordwestliche Richtung. Sie überschattete bereits ganz Kleinasien und einen Teil des Schwarzen Meeres. Die Landschaft unter mir war zunehmend von Schnee bedeckt.
    Wo blieb denn diese Stewardess? Ich hatte eine staubtrockene Kehle …
    Wir flogen – nein, wir rasten! – entlang der Schwarzmeerküste. Unter uns zog der Golf von Burgas vorüber, als würde ich die Erde in einer Rakete überfliegen. Keine dreißig Sekunden später passierten wir die Ausläufer des Ostbalkans. Die Bergkette verschwand ebenso rasant, wie sie vor uns aufgetaucht war. Wie in Trance starrte ich aus dem Fenster. Inzwischen flogen wir so schnell, dass ich Mühe hatte, die Landschaft zu erkennen. Es war, als blicke man aus dem Fenster eines Intercitys, während der Zug durch einen hell erleuchteten Tunnel fährt.
    Panikerfüllt krallte ich meine Hände in die Sitzpolster, als sich das Panorama unter mir in ein Gemenge aus graubraunen Streifen verwandelte, während die Maschine so sanft dahinschoss wie ein Segelflugzeug. Unsere Geschwindigkeit musste Zehntausende von Stundenkilometern betragen. Es war blanker Irrsinn! Ein immer lauter werdendes Heulen drang an meine Ohren, als betätige jemand sämtliche Register einer Kirchenorgel auf einmal. Ich schloss die Augen und begann zu schreien, als außerhalb des Fensters keinerlei Landschaft mehr zu sehen war und das Dröhnen meinen Schädel zu sprengen drohte. Ich brüllte und brüllte und erwartete, dass das Flugzeug jeden Augenblick unter der Belastung auseinander barst. Dann brach dieser markerschütternde Ton plötzlich ab, und jemand berührte mich an der Schulter.
    Ich hörte auf zu schreien, öffnete die Augen und blickte in das Gesicht der Stewardess.
    »Mister Krispin, ist alles in Ordnung?«, erkundigte sich die Frau.
    Ich starrte sie an. »Was … was ist passiert?« Mein ganzer Körper bebte.
    »Wir sind vor wenigen Augenblicken gelandet.«
    »Gelandet?« Ich warf einen Blick aus dem Fenster. Die Maschine stand tatsächlich auf dem Boden, im Hintergrund sah ich den Tower des Bukarester Flughafens. Eine Gangway wurde soeben an das Flugzeug herangerollt. »Aber wieso …?« Ich blickte auf meine Uhr. Beide Zeiger standen auf der Zwölf!
    Neun Minuten!, staunte Giza. Neun Minuten für die restlichen 1200 Kilometer! Das entspricht einer

Weitere Kostenlose Bücher