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Morphogenesis

Morphogenesis

Titel: Morphogenesis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Marrak
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ein recht aufgeschlossener Bursche. Er gab mir einen fünfzehnminütigen Schnellkursus in Aeronautik und erzählte mir alles, was er über Thermiken, Luftlöcher, Gewitter, Motorpannen, Notlandungen und was weiß ich noch alles wusste, dann urteilte er: »Hast Angst vorm Fliegen, was?«
    »Höhenangst«, erklärte ich. »Eine Art Kindheitstrauma.«
    »Besitzt ganzen Sack voll davon, was?« Er sah mich geheimnisvoll an. »Kann dir zeigen, wie du Angst verlierst.«
    »Dann wären Sie der Erste.« Ein ungutes Gefühl machte sich in mir breit.
    »Sela!«, rief Archon und schaltete die Motoren aus.
    Ich hielt die Luft an, als das Brummen in der Kanzel verstummte und beobachtete entsetzt, wie die Propeller immer langsamer rotierten. Jenes Unglück, von dem ich gehofft hatte, es möge nie passieren, bewerkstelligte Archon mit einem lapidaren Knopfdruck.
    »Was soll das?«, keuchte ich.
    »Wir machen wie Kosmonauten in Training!«
    »Schalten Sie sofort die Motoren wieder an!« Ich zog reflexartig das Handy aus der Manteltasche. Meine Handknöchel traten weiß hervor, das Gehäuse des Gerätes knackte bedrohlich.
    »Jetzt hier gleich machen piep-piep-piep, aber das nur Warnton von abreißende Zugluft, die Flugzeug hält oben«, informierte mich Archon. »Nicht schlimm, gleich so weit.«
    Ich starrte mit weit aufgerissenen Augen nach draußen und überlegte, wen ich in diesen letzten Sekunden anrufen sollte; die Feuerwehr oder die Luftrettungswacht oder das britische Konsulat. Die Nase des Flugzeugs neigte sich langsam abwärts, dann befanden wir uns im Sturzflug. Ich schrie, während Archon den Kopf in den Nacken legte und vor Übermut johlte. Die Maschine heulte wie eine Feuerwehrsirene, als sie der verschneiten Erde entgegenjagte. Ich ließ das Handy aus meiner Hand gleiten und krallte mich an meinen Sitz. Das Mobiltelefon schwebte kreiselnd vor meinem Gesicht in der Luft, in einer Höhe, auf der sich inzwischen auch mein Magen befinden musste. Ich betrachtete es, wie es schwerelos durchs Cockpit glitt. Im selben Augenblick startete Archon die Motoren wieder und fing den Sturz der Maschine ab. Das Handy knallte auf den Boden, die heranrasenden Hügel und Schneefelder verschwanden vor der Frontscheibe und wurden wieder von blau-weißem Himmel ersetzt. Ich blieb zitternd und aller Worte beraubt sitzen, bis sich das Innenleben meines Körpers wieder geordnet hatte. Dann beugte ich mich vor, hob das Handy auf, stellte fest, dass es nicht mehr funktionierte und verstaute es wie in Trance wieder in meinem Mantel.
    »Na, wie fandest du?«, erkundigte der Pilot sich grinsend. »Bist so bleich, ist was nicht in Ordnung?«
    »Doch, doch«, beschwichtigte ich. »Alles bestens. Ich bin nur … beeindruckt.«
    »In Amerika machen sie das mit große B-52-Bomber«, schwärmte Archon. »Sollen wir noch mal?« Er leckte sich erwartungsvoll die Lippen.
    »Oh, nein, um Gottes willen! Fliegen Sie einfach friedlich geradeaus, und ich bin glücklich und zufrieden.«
    »Siehst du«, grinste Archon. »Kannst jetzt genießen Flug.«
    Ich kämpfte einen Brechreiz nieder, stierte krampfhaft aus dem Seitenfenster und erwürgte den Piloten im Geiste. »Wo sind wir?«, wollte ich wissen.
    »Weiß nicht. Irgendwo.«
    »Bitte?« Ich sah Archon an. »Was soll das heißen: irgendwo?«
    »Keine Ahnung …« Er sah durch sein Seitenfenster nach unten. »Sieht überall gleich aus.«
    »Und der Sprit?«
    »Reicht«, versicherte er. »Immer.« Er begann in einer Reisetasche zu wühlen, die doppelt so alt sein musste wie er selbst, und zog eine Plastiktüte heraus.
    Ich ließ mich seufzend im Sessel zurücksinken. »Haben Sie wenigstens eine Karte?«
    Archon griff neben sich und reichte mir einen zerlesenen Atlas.
    »Was soll ich damit?«
    »Du hast verlangt.«
    »Aber …« Ich warf einen Blick auf die Titelseite. »Das ist ein Straßenatlas!«
    »Ja, aus Taxi.«
    »Das sind Straßenkarten, Mann!«, wiederholte ich. »Falls mich nicht alles täuscht, sitzen wir in einem Flugzeug!«
    »Wir sind hier.« Er öffnete den Atlas an einer markierten Seite und tippte mit dem Zeigefinger auf drei verschiedene Stellen.
    Nervös suchte ich zwischen den spärlichen Instrumenten die Anzeige für den Treibstofftank, wurde aber nicht fündig. Die Avionik dieses Flugvehikels war mehr als armselig. Ich verkniff es mir, Archon nach elektronischer Navigation zu fragen. So wie er flog, waren für ihn Längen- und Breitengrade böhmische Dörfer. Also sah ich aus dem Fenster hinab

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