Morphogenesis
hinauf.
»Was suchen Sie?«, rief ich, ihm nacheilend.
»Ausgang 63.902, dort wartet das Taxi! Sechs Etagen höher, auf der Delta-Seite …«
Schon wieder ein Taxifahrer! »Wussten Sie denn nicht vorher, wo Sie Ihr Auto abgestellt haben?«
Spindario wirbelte herum. »Halten Sie ihre Klappe und kümmern Sie sich um Ihren eigenen Dreck, Mister Krispin!«, fauchte er. »Das Taxi wartet nicht hinter 63.902, weil ich es dort abgestellt habe, sondern weil es dorthin geschickt wurde!«
»Bitte?«
»Oh, vergessen Sie’s. Los, Beeilung, sonst ist es fort, und wir dürfen mehrere zehntausend Türen abklappern, um es wiederzufinden.« Spindario hetzte die Treppen empor, als wäre der Teufel hinter ihm her.
Nachdem wir sechs Etagen bezwungen hatten und meine Lunge wie ein Blasebalg arbeitete, mussten wir noch Hunderte von Metern Fußweg zurücklegen. 63.144 stand auf der Pforte, die wir in diesem Moment passierten. 63.170 … 190 … 210 … Ein Meter zwanzig für die Türen, ein Meter für die Zwischenräume. Wir erreichten das Ende der Gamma-Seite, wie Spindario es nannte, und bogen in einen neuen, unendlich lang erscheinenden Gang ein. Irgendwo an seinem Ende musste sich der Ausgang mit der Nummer 63.902 befinden.
»Wohin führen all diese Türen?«, keuchte ich.
»An hunderttausend verschiedene Orte«, rief Spindario. »Ursprünglich waren es anscheinend nur zwölf Türen – vor ein paar tausend Jahren. Doch irgendwann hatte alles zu wachsen begonnen, auch das Megaron. Unterstehen Sie sich, eine von ihnen zu öffnen! Dieses Licht dort drüben dient nicht der Beleuchtung, sondern bewacht die Eingänge. Eine falsche Tür, durch die Sie schreiten oder zu der Sie herauskommen, und Sie erhalten eine gewischt, dass Ihr ZNS für ein paar Tage einem Schmelzofen gleicht.«
Als wir endlich die besagte Tür erreichten, rann mir der Schweiß in Strömen über den Leib. Spindario überprüfte nochmals die Zahlenfolge, dann riss er die Pforte auf, packte mich am Arm und stieß mich hindurch. Er selbst folgte unverzüglich nach und schloss die Tür gewissenhaft hinter sich.
Mit weit aufgerissenen Augen lief ich zwei, drei zögerliche Schritte in den dahinter liegenden Raum und blieb dann erschüttert stehen. Nein, das war kein Innenraum mehr. Das sich mir offenbarende Szenario sprengte alle Grenzen: Ich stand in einer von Flammen umtosten Häuserschlucht! Die Hitze war nahezu unerträglich, und die monumentalen Gebäude machten den Eindruck, als würden sie jeden Augenblick einstürzen. Vierzig, fünfzig Meter hoch loderten die Flammen aus Fenstern, Torbögen und zwischen mächtigen Säulen hervor.
»Mein Gott!«, schrie ich. »Was ist hier los? Ist irgendwo eine Raffinerie explodiert? Wo sind wir hier?«
»In Rom«, knurrte Spindario.
»In Rom? Wollen Sie mich verarschen?«
Mein Begleiter reagierte wie ein wildes Tier, packte mich am Kragen und zog mich zu sich heran. »Ich verarsche niemanden, Mister Krispin«, knurrte er. »Kapiert?« Er ließ mich wieder los, orientierte sich kurz und lief über die gepflasterte Straße. Ich drehte mich nach der Tür um, doch zu meiner Überraschung war sie verschwunden. An ihrer Stelle befand sich nunmehr blankes, rußgeschwärztes Mauergestein. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite stand ein cadmiumgelber Citroën mit laufendem Motor und vernebelte den Straßenzug mit stinkenden Abgasen. Auf dem Dach des Wagens leuchtete ein Taxi-Schild.
»Na los, Sie Lahmarsch, beeilen Sie sich gefälligst!«, überschrie Spindario das Tosen des Feuers, als er bemerkte, dass ich stehen geblieben war und in das Flammeninferno starrte. »Hopp, Frosch!« Er hielt mir die Wagentür auf. »Wird wahrscheinlich ein Backofen sein da drin, aber besser als Laufen ist’s allemal.«
Ein Schwall heißer Luft schlug mir aus dem Inneren des Fahrzeuges entgegen. Als ich auf dem Beifahrersitz saß, kam ich mir vor wie in einem mittelalterlichen Brennofen für Häretiker. Das Blech, die Scheiben, alles war so heiß wie glühende Herdplatten.
Spindario lief um das Fahrzeug herum und stieg ebenfalls ein. Kaum hatte er die Fahrertür zugeschlagen, entstand ein Flimmern auf der Frontscheibe, das sich zu leuchtenden Lettern verdichtete.
DU KOMMST SPÄT!
Die Worte formten sich direkt auf der Fahrerseite der Windschutzscheibe, flackerten kurz und waren wieder verschwunden. Spindario brummte etwas, das wie eine Antwort klang, dann setzte sich der Wagen ruckartig in Bewegung, schoss aus der Gasse und bog
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