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Morphogenesis

Morphogenesis

Titel: Morphogenesis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Marrak
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mit quietschenden Reifen in ein Weltuntergangsszenario ein: Nicht nur die Häuser um uns herum brannten, die ganze Stadt stand lichterloh in Flammen!
    »Ein Vulkanausbruch!«, rief ich. »Eine Eruption!« Ich warf den Kopf herum und suchte den feuerspeienden Berg, aber es gab keinen. Dann ist er eben weit weg und wird durch die Häuser verdeckt, durchfuhr es mich. Die Lavaströme haben alles in Brand gesetzt! Dummerweise sah ich aber keine Spur von Lava. Nicht einmal von Asche. Und seltsamerweise gab es auch keinen Rauch.
    »Warum brennt die Stadt …?«
    »Rom!«, präzisierte Spindario.
    »Warum brennt Rom?«
    »Weil Nero es anzünden ließ, warum wohl sonst. Hatten Sie keinen Geschichtsunterricht, Mister Krispin?«
    »Aber – das war vor zweitausend Jahren!«
    »Vor 1941 Jahren. Die Mauern zu Ihrer Rechten bilden die Westflanke des Palatinhügels. Dort vorne sehen Sie die Basilika des Maxentius in Flammen. Bei ihr kreuzen wir die Via Sacra, und wenn Sie aus Ihrem Seitenfenster schauen, können sie vielleicht einen Blick auf das Kolosseum und den Tempel der Venus werfen.«
    Ich sah Spindario ungläubig an und schließlich wieder nach draußen. »Wer betreibt einen derartigen Aufwand, um das Rom des Jahres 64 wieder zu errichten?« Der Fahrer zuckte die Achseln. »Dreht man hier etwa einen Historienfilm?«
    Vor uns tauchte ein Hindernis auf. Mitten auf der Straße lag ein großer verkohlter Holzbalken, der von einem der Dächer herabgestürzt sein musste und dabei noch einen Passanten erschlagen hatte. Der Tote war halb unter dem Balken begraben. Allerdings schien Spindario die Barriere nicht wahrzunehmen, denn er machte keine Anstalten, das Fahrzeug zu stoppen.
    »Vorsicht, da vorne!«, warnte ich, als ich erkannte, dass der Fahrer mit unverminderter Geschwindigkeit auf das Hindernis zuhielt. »Weichen Sie aus!«
    Plötzlich hob der Balken einen länglichen Kopf und riss ein gewaltiges, von spitzen Zähnen gesäumtes Maul auf.
    »Aber … das ist ein Alligator!«, staunte ich.
    Es folgte ein heftiger Schlag, als der Wagen über das fauchende Reptil hinwegraste. Spindario wurde ebenso wie ich in seinem Sitz durchgeschüttelt, dann sah er mich verärgert an. »Ja, Mister Krispin, das war ein Alligator. Und wenn Sie nicht endlich das Fenster schließen, könnte es durchaus sein, dass ihnen ein Tiger oder eine Hyäne auf den Schoß springt. Und schnallen Sie sich an!«
    Wie in Trance legte ich den Sicherheitsgurt an und kurbelte die Seitenscheibe hoch.
    Menschen tauchten auf. In blutverschmierter, zerrissener oder halb verbrannter Kleidung irrten sie durch die Straßen. Manche waren vollkommen nackt und wiesen grauenhafte Fleischwunden und Verbrennungen auf. Eines hatten sie jedoch alle gemeinsam: Ihnen fehlten die Augen! Nicht, dass ihre Augenhöhlen leer waren – sie schienen niemals Augen besessen zu haben! Ihre Gesichter wiesen Münder und Nasen auf, doch dort, wo die Augen sein mussten, waren sie vollkommen glatt und eben. Durch diese Anomalie behindert, stolperten sie über jedes Hindernis, stürzten Treppen hinunter oder torkelten direkt in die Flammenherde hinein, wenn sie vor den Tieren flohen.
    Die Tiere …
    Ganze Rudel blutrünstiger Bestien jagten die Unglückseligen durch die brennenden Häuserschluchten; Löwen, Krokodile, Schakale, Tiger, Bären, Stiere, Wölfe … Die blinden Menschen flohen schreiend, manche brennend und Rauchschleier hinter sich herziehend, andere aus tiefen Wunden blutend. Einigen fehlten ganze Gliedmaßen. Was von ihrer Kleidung noch übrig war, ließ sich ausnahmslos als klassisch römische Tracht identifizieren: Togen, Tuniken, Umhänge und Sandalen.
    Dennoch schienen die Menschen Spindarios Wagen wahrzunehmen. Scharen von ihnen rannten dem Taxi hinterher, einige blieben sogar mit ausgebreiteten Armen auf der Straße stehen, als könnten sie es einfangen. Auch die Tiere wurden auf das Gefährt aufmerksam und begannen eine wilde Verfolgungsjagd. Ich kam mir vor wie ein Tourist, der in die aufwändigen Dreharbeiten für einen antiken Katastrophenfilm hereingeplatzt war. Aber ich konnte keine Filmcrew entdecken. Weder Kameras noch Scheinwerfer oder sonst irgendeine Art von Filmtechnik war zu sehen. Das Blut, das Feuer, die schreienden, verzweifelten, entstellten Menschen, die Tiere, alles wirkte absolut echt.
    Ein dumpfer Aufprall riss meinen Blick wieder nach vorn. Auf der Kühlerhaube lag ein nackter Mann und krallte sich verbissen am Blech fest. Spindario musste direkt in ihn

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