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Morphogenesis

Morphogenesis

Titel: Morphogenesis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Marrak
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gewölbeartigen Gang gelangten wir in einen kreisrunden, fast schmucklosen Raum. Zwei Meter hohe Kandelaber waren die einzigen Einrichtungsgegenstände. Armdicke weiße Kerzen brannten auf ihnen und sorgten für warmes Halbdunkel. Der Boden bestand aus glänzendem Parkett, und am gegenüberliegenden Ende des Raumes wuchs eine breite Wendeltreppe aus dem Boden. Es roch nach Mauerschwamm, Sandelholz und einem undefinierbaren Parfum.
    Der Corrigan stand am Fuß der Treppe wie eine vergessene Theaterdekoration für eine Monsterburleske. Er wies mit der Hand in die Höhe und stieg wortlos hinauf. Misstrauisch folgte ich ihm, ständig darauf bedacht, gebührenden Abstand zwischen mir und dem untersetzten Geschöpf zu wahren. Sechs Etagen zählte ich, ehe die Treppe in ein großes, fensterloses Gelass mündete, dessen Mauern mit purpurnem Tuch behangen waren. Eine wuchtige Steinsäule stützte die Decke ab, und an den Wänden leuchteten Lampen, in denen sich scheinbar selbstnährende Flammen brannten. Sie flackerten kaum, als würden sie in Zeitlupe lodern. Ich entdeckte weder Dochte noch eine brennbare Flüssigkeit. Die eigenartigen Flammen sahen aus wie winzige Sonnen, die man eingefangen hatte und in Lampen festhielt wie Calicos in Goldfischgläsern.
    An der Wand führte eine weitere schmale Steintreppe in die Höhe, und der Corrigan schickte sich unverweilt an, auch sie emporzusteigen. Er schien sicher zu sein, dass ich ihm folgen würde, denn seit wir uns im Turm befanden, hatte er mir kein einziges Mal den Vortritt gewährt. Ich fühlte mich wie bei einem Rundgang durch einen mittelalterlichen Burgfried. Keuchend schloss ich zu dem gnomenhaften Wesen auf. Es hatte vor einer schmuckvollen Ebenholztür Halt gemacht, die nicht so recht in das Ambiente dieses Gemäuers passen wollte. Hinter dem Corrigan endete der mannsbreite Gang in einem von der Turmkrümmung gebildeten finsteren Eck.
    Orangefarbenes Licht flutete in den Korridor, als das Wesen die Tür öffnete und mir bedeutete, hindurchzutreten. Es war, als hätte der Corrigan eine Ofenklappe aufgetan und mich freundlich gebeten, ins Feuer zu treten. Ich machte blinzelnd ein paar Schritte und blickte neugierig in den lichthellen Raum. Hinter der Pforte lag ein großes, prunkvoll ausgestattetes Gemach, das einen völligen Stilbruch gegenüber allem darstellte, was ich bisher von dieser Tempelfestung zu Gesicht bekommen hatte. Erstaunt verharrte ich im Türrahmen und ließ meinen Blick über mit Gold, Edelsteinen und Elfenbein verzierte Möbel gleiten. Kissen und kunstvoll geflochtene Bastmatten bedeckten die Stühle und den bemalten Marmorboden, meisterlich gearbeitete Lampen aus schwerem, buntem Glas standen überall dort an den Wänden verteilt, wo nicht eine Truhe, ein Tisch, ein Sessel oder das große, mit einem Baldachin versehene Bett den Platz beanspruchten. Die hohen Wände waren mit gemeißelten Steintafeln verziert, gewebte, motivbedeckte Tücher hingen vor der Holzdecke und vor den Fensteröffnungen. In der Mitte des Raumes erhob sich ein mannsgroßer Obelisk, an dessen Spitze jene wundersamen, zeitlupenhaft tanzenden Flammen den gesamten Raum in ein zauberhaftes, unirdisches Licht badeten.
    Verwundert wandte ich mich um. Der Corrigan missdeutete meine Bewegung offenbar, denn im Nu hielt er wieder jenes furchteinflößende Messer in seiner Pranke und zielte mit der Spitze auf meine Kehle.
    »Ruhig Blut, mein Freund.« Ich hob beschwichtigend die Arme. »Ich hatte nicht vor, davonzulaufen.«
    »Natürlich nicht«, knurrte Okabur. »Ich hatte auch nicht vor, dich aufzuschlitzen. War nur ein Reflex.« Er lächelte verschlagen. »Geh hinein!«
    Ich trat rückwärts in das Gemach, ohne den Corrigan aus den Augen zu lassen. Okabur ließ die Klinge wieder in seinem Lederwams verschwinden, griff nach der Tür und zog sie mit Wucht ins Schloss. Ich hörte, wie er die Treppe hinunterstiefelte, dann herrschte Stille. Zur Probe versuchte ich die Pforte wieder zu öffnen, fand sie jedoch erwartungsgemäß verschlossen. Ich brachte es nicht einmal fertig, die Türklinke niederzudrücken. Offenbar hatte ich das Ziel meiner Odyssee erreicht. Meine geheimnisvolle Gastgeberin schien es nicht besonders eilig zu haben, sich mir vorzustellen. Folglich blieb mir nichts anderes übrig, als zu warten.
    Um es nicht schönzufärben, Krispin: Du bist ein Gefangener!
    Ich ließ meinen Blick eingehend durch mein neues ›Zuhause‹ schweifen, nahm rechts von mir eine Bewegung wahr und

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