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Morphogenesis

Morphogenesis

Titel: Morphogenesis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Marrak
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fuhr erschrocken herum, doch es war nur ein mannshoher Spiegel, aus dem mich mein Konterfei anstarrte. Noch immer trug ich den Anzug, mit dem ich mich in Kairo eingekleidet hatte, nachdem ich …
    Ich stockte.
    Die Erinnerung an meinen Aufenthalt in der Nilmetropole war verblasst wie ein flüchtiger Traum. So sehr ich mich bemühte, mich auf die Vergangenheit zu konzentrieren, sie wollte mir partout nicht ins Gedächtnis zurückkehren. Je verbissener ich nach ihr bohrte, desto mehr entzog sie sich meinem Zugriff wie ein scheues, ephemeres Wesen. Zwar erinnerte ich mich noch an den Namen meines Hotels, doch was geschehen war, bevor ich am Morgen in den Grünanlagen des Sheraton erwacht war, blieb grau, verschwommen und wirr.
    Es mussten sehr viel Alkohol und Shisha im Spiel gewesen sein …
    Ich trat an den Spiegel und betrachtete mich. Mein Gesicht wirkte in dem vorherrschenden Licht wie aus Wachs. Eigenartige blassrote Striemen zeichneten meine Stirn, verliefen um mein rechtes Auge wie ein Spinnennetz und weiter, die Wange hinab. Sie sahen aus wie Kratzer oder feine, verheilte Narben. Wahrscheinlich rührten sie von der Pranke des Chroners her, der mir mit seinen Krallen durchs Gesicht gefahren war. Seltsam, ich hatte mich seit Kairo nicht mehr rasiert, aber keine einzige Bartstoppel war zu sehen. Und obwohl ich den ganzen Tag noch nichts gegessen hatten, verspürte ich keinen Hunger. Der Zustand meiner Garderobe ließ allerdings zu wünschen übrig. Der Anzug stank nach Rauch, und der Mantel wies Brandlöcher auf, die fliegende Funken von den brennenden Mauern Roms verursacht haben mussten. Meine Reisetasche mit Kleidung, Toilettenutensilien und dem ganzen Rest war in Archons Flugvehikel zurückgeblieben. Ich blickte mein Spiegelbild an und ließ dabei die absonderlichen Geschehnisse der letzten Stunden Revue passieren, dann suchte ich nach einer Waschgelegenheit.
    Es gab keine.
    Nachdem ich dreimal im Kreis gelaufen war und sämtliche Truhen und Wandbehänge auf verborgene oder verdeckte Becken oder Wannen abgesucht hatte, blieb ich konsterniert in der Mitte des Raumes stehen. Kein Badezimmer, keine Dusche, kein Waschbecken; nicht einmal einen Wasserhahn hatte ich entdeckt. Zwar roch mein Körper nicht annähernd so streng wie meine Kleidung, doch steigerte sich der Drang, mich zu waschen, zu einem wahren Anankasmus.
    Im Grunde war nicht von der Hand zu weisen, dass mein Körper vollkommen geruchlos war. Er roch weder gut, noch schlecht, sondern schlicht und ergreifend überhaupt nicht. Ich zog meine Kleidung aus und warf sie achtlos auf den Boden, dann ließ ich mich in eine Gruppe von Sitzkissen plumpsen und haderte mit der Ungerechtigkeit des Lebens. Die Welt gebärdete sich seit heute Morgen wie ein tollwütiger Hund, der zubiss, sobald man ihm zu nahe kam. Eine derartige Verquickung absonderlicher Umstände hatte ich noch nie erlebt. Müde vergrub ich mein Gesicht in den Händen und wartete auf meine Gastgeberin und den finalen Aha-Effekt …
     
    Als ich erwachte, lag ich halb unter Kissen begraben und in meinen Mantel gewickelt auf dem Boden. Ich wusste nicht, ob ich nur für ein paar Minuten eingenickt war oder einen ganzen Tag durchgeschlafen hatte. Nach all den Abenteuern seit meiner Abreise aus Kairo tippte ich auf Letzteres. Ich öffnete die Augen und schaute zur Decke. Das Licht in meinem Gemach hatte sich nicht verändert. Kein Laut drang von außerhalb des Turmes an meine Ohren, kein Geräusch geisterte durch die Mauern des Gebäudes herauf. Auch hier im Raum herrschte eine geisterhafte Stille, ohne das Ticken einer Uhr, das Rauschen einer Heizung oder das Summen eines Kühlschrankes. Ich vermisste die Geräusche der modernen Welt; das Dröhnen von Flugzeugen, das entfernte Brausen von Zügen und Schnellstraßen, das Bellen von Hunden, Vogelgezwitscher, lärmende Kinder, Musik aus den Nachbarhäusern … Nichts davon war zu hören.
    Alles war ruhig, leblos, steril und leer.
    Es herrschte Stille.
    Totenstille …
    Ich erhob mich und trat an eines der hinter Vorhängen verborgenen Fenster. Als ich den Stoff beiseite zog, blickte ich lediglich in einförmiges Weiß. Es gab keine Landschaft, nur den undurchdringlichen Nebel. Allerdings erkannte ich einen Balkon, der vor dem Fenster entlanglief. Nach kurzer Suche fand ich hinter den Vorhängen auf der gegenüberliegenden Seite des Zimmers auch die Tür, die hinausführte. Sie bestand bis auf einige schmückende Metallverzierungen nahezu vollständig aus

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