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Morphogenesis

Morphogenesis

Titel: Morphogenesis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Marrak
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Glas und ließ sich zu meiner Überraschung mühelos öffnen. Augenblicklich wurde die erdrückende Stille im Zimmer durch eine infernalische Flut von Geräuschen ersetzt. Ich erschrak dermaßen, dass ich die Tür sofort wieder zuwarf. Dann, gefasst auf den Tumult, zog ich sie erneut auf. Lärmschutzglas, ohne Zweifel. Und zwar von einer Effektivität, wie ich es nie zuvor erlebt hatte. Der gesamte Raum musste schallisoliert sein.
    Die Luft, die von draußen hereindrang, war schwülwarm, als befände ich mich in den Tropen. Sonderbarerweise war der Nebel auf dieser Seite des Turmes nicht annähernd so dicht. Nackt wie ich war, trat ich auf den Balkon. Unter mir befand sich ein Park. Das heißt, es war nicht direkt ein Park, sondern ein Akazienhain. Die Bäume wuchsen weiträumig verteilt auf sandigem, ockerfarbenem Boden. Der gesamte Hain war etwa fünf Hektar groß und wurde von einer mächtigen Wehrmauer umgrenzt, die doppelt so hoch war wie die Bäume. Ich konnte weder Tore noch Lichtgaden oder Schießscharten im Mauerwerk entdecken. Jenseits des Trutzwalls ragten vereinzelte Dächer über die Mauerkrone, drei oder vier Kilometer entfernt stand eine Anlage, die aussah wie ein Atomkraftwerk. Lediglich das obere Drittel der Kühltürme, ein hoher, schlanker Schlot und die Spitze einer Betonkuppel waren zu sehen. Rechter Hand erhob sich der weit entfernte Schemen eines Kirchturmes aus dem Dunst, und wenn ich nach links blickte, erkannte ich den unscharfen Schatten eines Wolkenkratzers, auf dessen Dach sich etwas Monströses bewegte. Entfernt ähnelte es der Nachbildung eines mit den Flügeln schlagenden Drachen, der auf dem Gebäude saß wie ein fetter Kater auf einem Mauerpfeiler. Flammenzungen schossen aus seinem Maul in die Tiefe, während sein Kopf an dem langen Hals hin und her schwang. Fasziniert blickte ich zu dem Feuer speienden Ungetüm. Lag dort ein Vergnügungspark? Oder war es womöglich die ausgefallene Werbung für ein Steakhouse?
    Der Balkon, auf dem ich stand, schien um den gesamten Turm herumzuführen. Ich lief bis zu der Stelle, wo die den Hain umgebende Zyklopenmauer an ihn anschloss. Sie war fast so hoch wie das Bauwerk selbst, wobei der Balkon durch ein schlüssellochförmiges Tor durch sie hindurch verlief. Aus der Tiefe der meinem Zimmer abgewandten Seite des Turms quoll dicker, unangenehm beißender Dampf empor, als befänden sich weit unten heiße Quellen und Schlammvulkane. Allerdings roch der Dampf nicht nach Tuff, sondern penetrant nach Teer. Vielleicht eine Großbaustelle. Ich lief durch das Tor und sah hinab, aber der Qualm raubte mir jegliche Sicht. Aller Nebel der Stadt schien hier aus der Tiefe emporzusteigen. Ich hatte den Eindruck, durch eine dicke Milchglasscheibe zu blicken, hinter der selbst das Naheliegendste verschwand. Keinerlei Baulärm drang zu mir herauf. Weder Teermaschinen noch Lastzüge oder Planierraupen waren zu hören. Die einzigen Geräusche, die ich vernahm, wehten von weit her zum Turm herüber – Jauchzen und Kreischen, Heulen und Schreien, dumpfe Schläge, Pfeifen, das Rasseln von Ketten und das Knattern von Gewehren, als befände sich in der Nähe ein Truppenübungsplatz. Der restliche Tumult musste vom Vergnügungspark kommen. Ich lief weiter und stand schließlich wieder neben der Balkontür.
    Eine Sache gefiel mir nicht: Die hohe Trutzmauer und der Nebel jenseits des Turmes verhinderten jeden Ausblick auf das, was sich dahinter befand. Ich hatte lediglich Sicht auf den Akazienhain – ziemlich genau einen halben Kilometer weit, als überdecke den Park eine unsichtbare Kuppel, die ihn vor dem Dunst abschirmte.
     
    Das unterschwellige Gefühl, beobachtet zu werden, bewog mich, einen Blick über die Schulter zu werfen. Durch den dünnen Stoff der Vorhänge erkannte ich einen gedrungenen Schatten, der hinter der geöffneten Tür im Zimmer stand. Im ersten Moment erschrocken, ging ich auf die Tür zu und zog den Vorhang beiseite.
    Okabur stand breitbeinig im Raum, ein Bündel aus Leinenkleidern in den Pranken, und musterte mich so unverhohlen, als hätte er noch nie zuvor einen nackten Menschen gesehen. Mein verärgerter Blick wanderte von ihm zur geöffneten Tür im Hintergrund.
    »Denk gar nicht daran«, knurrte der Corrigan.
    »Hast du nichts Besseres zu tun, als rumzustehen und zu gaffen?«, gab ich zurück. Okabur blieb gelassen. Das Leinenbündel vor sich haltend, verharrte er reglos im Raum. »Was ist?«, fragte ich.
    »Tür zu!«
    Ich atmete tief durch.

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