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Morphogenesis

Morphogenesis

Titel: Morphogenesis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Marrak
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von einem Ende der Wand zum anderen verlief. Als er ihn betrachtete, wurde er auf eine riesige Lichtparabel aufmerksam, die sich vom fernen Ende der Halle rasch näherte. Sie floss auf der Höhe des Leuchtstreifens majestätisch über Ka hinweg und verschwand in der Finsternis zu seiner Rechten. Augenblicklich erscholl wieder jener tiefe, melodische, lang nachhallende Glockenschlag, der Ka fast die Besinnung raubte. Es grenzte an ein Wunder, dass sein Kopf und die beiden Infusionsbeutel unter seiner Wucht nicht zerplatzten. Jeder Knochen in Kas Körper schien durch die Vibrationen zu feinem Schrot zermahlen zu werden.
    »Offnen Sie vor dem nächsten Pulsschlag Ihren Mund!«, empfahl die Schwester, die seinen drohenden Sturz auffing. »Das macht es erträglicher.«
    Ka nickte benommen. »Was war das?«
    »Gehen Sie vor zum Bildschirm und blicken Sie hinaus. Dann kommen Sie womöglich von selbst drauf.«
    »Bildschirm?«
    Die Schwester zog ihn ein paar Schritte weit mit sich, auf die fluoreszierende Wand zu. »Gehen Sie«, forderte Sie ihn auf. »Ich bleibe hinter Ihnen.«
    Die Wand schien tatsächlich aus massivem Glas zu bestehen. Es knisterte unter Kas Haut, als er mit der Hand über ihre Oberfläche strich. Winzige Funken, die keine Schmerzen bereiteten, glühten unter seinen Fingerspitzen auf und schwärmten über die dunkle Oberfläche.
    Als Ka seine Stirn an die meterdicke Scheibe legte, konnte er auf der anderen Seite ein riesiges, durch das Glas grünlich gefärbtes Gebilde erkennen, das etwa einhundert Meter entfernt war. Es dauerte Sekunden, ehe Ka darin die Kuppe eines riesigen Fingers erkannte; mit Falten, tief wie Ackerfurchen, und einem Fingernagel, der so groß war wie ein Fußballfeld. Als Ka begriff, was er sah, fügte sich auch das unscharfe Gebirge im Hintergrund zu einem Bild – dem einer gigantischen menschlichen Hand!
    Sie ruhte am Rande einer tiefen Klippe aus weißem Gestein … Das Gestein selbst besaß auffällig viele Schrunden, wie ein zerknittertes, erstarrtes Stofftuch. Von einem Arm, der einem sanft ansteigenden Bergrücken glich, führten mächtige rote und schwarze Stränge auf Ka zu. Sie schienen weit über ihm in den Krankenhauskomplex zu münden. Ka ließ den Infusionsständer los, führte seine Augen noch dichter an die Scheibe und schirmte sie gegen das diffuse grüne Glühen ab. Jenseits der riesigen Hand, so erkannte Ka nun, verloren sich die Formen in einem noch zyklopischeren Schemen; einem menschlichen Körper in einem Bett, so groß wie ein Kontinent …
    Aus den Augenwinkeln heraus nahm Ka über sich eine Veränderung wahr; ein schwaches grünes Flackern. Doch ehe er es einzuordnen wusste und sich von der Glaswand lösen konnte, erschütterte ein weiterer tiefer Glockenschlag seine Glieder. Im selben Augenblick jagte ein Stromstoß durch seine Arme und schleuderte ihn meterweit nach hinten in die Dunkelheit.

 

     
     
    Im ersten Moment war ich nicht sicher, ob ich mir das Geräusch nur einbildete: Ich hörte das Hupen eines Autos. Mein erster schlaftrunkener Gedanke galt Spindarios Taxi. Um das Risiko zu vermeiden, entdeckt zu werden, beschloss ich in meinem Unterschlupf zu bleiben und abzuwarten. Gespannt kiebitzte ich aus der schmalen Öffnung, durch die ich in die Nische gekrochen war, und hoffte, dass sich das Geräusch wiederholte.
    Draußen entwickelte sich ein zunehmender Radau, und ich vernahm jetzt deutlich das Quietschen von Autoreifen. Aufmerksam spähte ich auf die vor mir liegende Straße. Viel vermochte ich durch das Rechteck, das gerade breit genug war, um einer Person Durchschlupf zu gewähren, nicht zu sehen. Spurrinnen und tiefe Schlaglöcher durchnarbten die Straßenoberfläche, unzählige Gesteinsbrocken bedeckten den Asphalt. Er glich einer von Kratern übersäten Geröllwüste. Auf der Straße selbst befanden sich verwitterte Fahrbahnmarkierungen.
    Plötzlich erschien ein Schatten vor der Öffnung und ließ mich zurückschrecken. Die barfüßige Gestalt trug zerschlissene Hosen, die ihr bis knapp unter die Knie reichten. Über sie fiel ein dreckverschmierter Mantel. Die Waden waren blutverkrustet, als wären sie jüngst von einem Rudel wilder Hunde zerfleischt worden. Ohne zu zögern ließ der Fremde sich auf den Hosenboden fallen und versuchte, mit den Füßen voraus zu mir in die Nische zu kriechen. Ich wich zurück bis an die Wand, doch der Raum, den ich ihm verschaffte, war minimal, sodass mir der Eindringling einen seiner Füße in den

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