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Morphogenesis

Morphogenesis

Titel: Morphogenesis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Marrak
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nachgelassen hatten, hörte er Geräusche, für die er zuvor taub gewesen war. Eines davon klang wie der ferne, gleichmäßige Schlag einer riesigen Glocke. Das andere erinnerte an einen in Interwallen wiederkehrenden Sturm; ein tiefes Rauschen, das weit über ihm seinen Ursprung hatte.
    »Was ist das für ein Lärm?«, fragte er, nachdem er sich wieder erhoben hatte.
    »Das werden Sie noch früh genug erfahren, Mister Ka.«
     
    Als nach quälendem Aufstieg endlich das Ende der Treppe auszumachen war, hatte Ka fast die Hälfte der Infusionslösung verbraucht. Der Klang der vermeintliche Glocke war zu einem ohrenbetäubenden Dröhnen angeschwollen, derweil das Rauschen des Sturms sich zu einem anhaltenden Brausen gesteigert hatte. Obwohl es sich anhörte, als tobe über ihnen ein Tornado, fühlte Ka nicht den leisesten Lufthauch auf seiner schweißnassen Haut. Stattdessen vibrierte minutenlang der Boden, dann verstummte das Tosen für Augenblicke wieder. Kurz darauf begann es von Neuem, wobei es klang, als sauge etwas Gewaltiges nun all das wieder in sich hinein, was es zuvor herausgeblasen hatte. Ka war unmittelbar vor dem Ausgang stehen geblieben, um seine Augen an das Licht zu gewöhnen, das jenseits des Treppenschachtes herrschte. Die Schwester hatte den über ihm liegenden Raum bereits betreten und war nur noch als irisierender Schemen zu erkennen. Durch den Lärm hindurch glaubte er ihre Stimme zu hören und schleppte sich die letzten Stufen zum Ausgang empor.
    Es gab keinen tobenden Wirbelsturm. Im Gegenteil: Als sich Kas Augen an die Helligkeit gewöhnt hatten, wirkte die neue Umgebung zuerst leblos und starr – wäre da nicht der infernalische Lärm gewesen, der eine Konversation nahezu unmöglich machte. Dabei bebte der Boden, als habe man einen aktiven Vulkan angezapft, um mit seiner Energie ein überlastetes Kraftwerk zu speisen. Die Halle, die Ka betreten hatte, war kreisrund und so hoch, dass ihre Decke im Dunst verschwand. Ihre Wände leuchteten weiß und wirkten, als seien sie aus meterdickem Glas gefertigt. Dahinter waren undeutliche Formen zu erkennen, schleierhafte, wolkenartige Umrisse und Nebel.
    Ungläubig nahm Ka das gigantische graue Gebilde wahr, das im Zentrum der Halle langsam zur Größe eines Wolkenkratzers emporwuchs. Es war ein Hunderte von Metern hoher Faltenbalg, der schließlich so hoch aufragte, dass seine obersten Lamellen sich im Dunst verloren. Als der Kolben in seinem Inneren ihn zu voller Größe aufgebläht hatte, kehrte für Augenblicke Ruhe ein jäh unterbrochen von einem ohrenbetäubenden Glockenschlag, in dessen Nachhall das Brausen des sich nun langsam wieder herabsenkenden Balgs mischte.
    Ka war bis zur Wand neben dem Eingang zurückgewichen, überwältigt vom Lärm und dem Schauspiel, das sich ihm bot. »Was, um Gottes willen, ist das?«, schrie er, als die Schwester neben ihn trat.
    »Das Offensichtliche, Mister Ka«, antwortete sie. »Ein Frischgasreservoir.« Ihre Stimme schien künstlich verstärkt zu werden.
    »Aber – wofür? Das ist Gigantomanie! Belüftet man damit eine Großstadt?«
    »Sie betrachten die Wahrheit aus dem falschen Winkel, Mister Ka«, erklärte die Schwester. »Diese Anlage dient einzig der endotrachealen Intubation.«
    »Intubation? Wessen? Gottes?«
    »Hören Sie auf, Ihren Spott mit uns zu treiben, Mister Ka!«, rügte ihn die Schwester. »Gehen Sie lieber!«
    »Wohin?«
    »Immer an der Wand entlang.«
     
    Auf der gegenüberliegenden Seite der Halle öffnete sich ein weiterer klaustrophobisch enger Treppenschacht. Er schraubte sich in weiten Spiralen abwärts, endete aber zu Kas Erleichterung bereits in einer Tiefe von kaum fünfhundert Metern. Während das Brausen des Blasebalgs langsam abebbte, wurde nun der in langen Intervallen wiederkehrende Glockenton allmählich lauter, bis Ka das Gefühl hatte, jeder der tiefen, melodischen Schläge presse ihm das Gehirn durchs Rückenmark. In dem Raum, den sie schließlich erreichten, schien zunächst völlige Finsternis zu herrschen. Nur langsam nahm Ka wahr, dass eine der Seitenwände in einem schwachen Grünton fluoreszierte. Der Raum selbst glich einem tiefen Canyon; kaum fünfzig Meter breit, dafür jedoch so lang und so hoch, dass man seine Decke und das gegenüberliegende Ende nicht ausmachen konnte. Es wirkte, als habe man einen Berg in zwei Hälften gespalten.
    Ka legte den Kopf in den Nacken und erkannte in Hunderten von Metern Höhe einen schwachen, grünen Lichtstreif, der horizontal

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