Morphogenesis
vorwiegend Monturen beider Weltkriege, viele aber auch Waffenröcke früherer Epochen. Hochdekorierte Offiziere liefen zwischen einfachen Soldaten umher, bellten Befehle und hielten große Faltbögen vor sich.
»Dejse Bastarde sind noch schlimmer als de Chroner«, schimpfte Meliosch. »Kommandiern dejse Meut, solangs de Kerle in de glejenden Metallkutschn net tun.«
»Was tragen sie da für Karten mit sich herum?«, wollte ich wissen.
»Stadtplejn.«
»Stadtpläne?«
»Von Dresden, von Warschau, von Prag, wos wejß ich …« Meliosch musterte mich erneut. »Du geherest ganz bestimmt nich in dejse Sektor, wenn de solche Fragen stellst.«
»Nein«, sagte ich entschieden. »Ganz bestimmt nicht.«
Mein Leidensgenosse seufzte. »Du sagst, du werest uff der Flucht. Vor wejm?«
»Vor den Chronern.«
»Tjo, des sind de mejsten hier. Un wo willste hin?«
»Egal, nur raus hier.«
Meliosch kicherte verhalten. »Wo raus? Aus dejse Loch? Aus dejse Zon? Aus dejse Sektor?«
»Ganz nach draußen«, erklärte ich. »Raus aus der Stadt.«
Aus Melioschs Kichern wurde ein unterdrückter Lachkrampf. »Raus aus de Stadt«, japste er. »Du willst de Scheol verlassn?«
»Ja.«
»Wie – wie willst det anstelln?«
»Ich werde einen der Ausgänge suchen. Draußen liegt ein Flugzeug im Nebel, das jederzeit starten kann. Ich bräuchte nur noch einen Piloten. Sie können nicht zufällig ein Flugzeug fliegen?«
Melioschs Lachen brach ab. Tränen standen ihm in den Augen, als er seinen Blick wieder erhob. »Wos is det, a Flugzejg?«
Wir sahen einander an. Hatte dieser Mann wirklich noch nie in seinem Leben ein Flugzeug gesehen, oder nahm er mich auf den Arm? »Das ist eine Maschine, mit der man durch den Himmel fliegen kann«, erklärte ich ihm.
»Durch de Himmel!«, prustete Meliosch los. »Oi Gewalt, det is ja noch sindiger als a Schemhamphorasch!«
Ich schüttelte verständnislos den Kopf.
»Det gehejme Siegel Gottes, det unsren Golems Lejbe gab«, half mir der Mann auf die Sprünge.
Langsam ging mir ein Licht auf, wen ich hier vor mir hatte, doch mein Verstand weigerte sich, ihn als diese Person zu akzeptieren. Erst das alte Rom, dann die Schiffe in der Bucht, Sahia und Asarhaddons Konkubine Leainti, und nun … Das alles war falsch, passte einfach nicht zusammen. Dieser Ort, die Kulturen, die Zeit. Vor allem die Zeit. Sie spielte mir in dieser Stadt dreckige Streiche.
»Sie sprachen vorhin in der Mehrzahl«, fiel mir ein. »Leben noch weitere Juden in diesem Sektor?«
»Rebbe«, berichtigte mich Meliosch. »Ja, etliche.«
»Sie wirken recht jung für einen Rabbiner.«
Der Mann machte eine abfällige Geste. »Ich gehör zu jejnen, die unsre Herrn bej der Erschaffung der Golems geholfe hebbe.«
»Wer war Ihr Meister?«
»Elijah ba’al Zeira.«
»Dann existieren folglich zwei Golems?«
»Zwoj?« Meliosch lachte freudlos. »Dutzend un Aberdutzend! Sejnerzejt wars unter Rebbe, die jber det gehejme Wissen verfjgte, Usus, a Golem zu erschaffen un sich zudienste zu machen. Nu simmer hier bis in elle Ejwichkejt ihrer Rachsucht ausgeliefert. Oh, ’s ist a ejfersichtger Gott, der uns verstieß. Schaus dir an: Tausende von Landsknecht in sinnloser Jagd uff de Golems. Se werden se niemals fangen, dafür sind unsre Geschepfe zu schlau. De Golems hingegen jage uns. Wos mejnste, Hippolyt – ejgentlich mjssten wir de Soldate jage.«
Ich sah gebannt nach draußen, auf trampelnde Stiefel, klappernde Pferdehufe und rasselnde Panzerketten. Der Boden bebte, der Lärm der Motoren schmerzte in den Ohren, und immer wieder erklangen laute Rufe und Befehle.
»Was ist das für eine Sprache?«
»Kobe«, erklärte Meliosch. Sein Blick hing forschend an mir. »De Sprache der Toten. Jeder Bjßer beherrscht se.«
»Ich kann manches von dem, was sie sagen, verstehen, aber ich kann diese Sprache nicht sprechen.«
»Des kennt sejne Grjnde hom. Verzeih mir.« Meliosch nahm meine Hand und presste sie mit der Innenfläche gegen seine Stirn, wobei er die Augen geschlossen hielt. »Ah«, meinte er nach einer Weile, als hätte die Hand ihm eine bedeutungsvolle Anekdote aus meinem Leben enthüllt. »Det hot ich vermutet …«
»Was?«
»Bist wohl a Iretmeth …«
Ich betrachtete irritiert meinen Handteller. »Das hat mir vor kurzem schon mal jemand gesagt.«
Mein Leidensgenosse musterte mich eindringlich, als suche er an mir einen Beweis für seine Behauptung. Er lächelte dabei, doch seine Miene wirkte eher traurig als ermutigend.
»Was ist
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