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Morphogenesis

Morphogenesis

Titel: Morphogenesis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Marrak
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ein Iretmeth?«, hakte ich nach.
    »Schwer, a andres Wort dafjr zu finden«, gestand Meliosch. »A besondrer Gast viellejcht. A Edler …« Er zuckte hilflos mit den Schultern. »A Bachir.« [10]
    »Was hat das mit dieser Sprache zu tun?« Ich schrie, da der Lärm eine normale Unterhaltung inzwischen unmöglich machte.
    »Elles. Wehr dich dagejge, se zu verstehn. Bewahr dejne Seejle un her uff mejn Rat: Geh dorthin zurjck, woher de gekomme bist, un begib dich wieder in Obhut. Solltest wahrhaftig a Bachir sejn, gelangst hernach ohne Gefahr aussem Scheol!«
    »Unmöglich!«, entgegnete ich. »Ich kann nicht dorthin zurück.«
    »Noch biste a Tejl dejner Welt, Hippolyt. Ebbes Wertvolleres gibbets hier net. Doch jej lenger du schutzlos umherstrejfst, je mehr dejn Gejst mit der Stadt ejns wird, desto rascher …«
    Kaum zehn Meter von unserer Zuflucht entfernt erschütterte eine Explosion den Jagdtrupp und verschlang Melioschs restliche Worte. Ich duckte mich erschrocken vor dem Staub und den Steinsplittern weg, die durchs Gitter zu uns hereinschossen. Als sich Dampf und Rauch verzogen, offenbarte sich uns auf der Straße ein entsetzliches Schauspiel. Körperteile und Blut bedeckten einen Großteil unseres Sichtfeldes. Schreckliche Schmerzensschreie aus Kehlen, die eigentlich nicht mehr hätten schreien dürfen, übertönten das Dröhnen der Panzer und Krafträder. Die vorübereilende Meute kümmerte sich jedoch nicht im Geringsten um die Verletzten. Ihr schrilles Wehklagen ließ mich die Hände gegen die Ohren pressen. »Mein Gott«, keuchte ich, »warum hören sie nicht auf zu schreien? Warum, um Himmels willen, hören sie nicht auf?«
    »Se kenne net mehr sterben«, rief Meliosch. »Se sin doch scho lang tot.«
    »Wer schießt hier überhaupt mit Granaten?«
    »De Chroner. Se wachn in de oberen Stockwerken un auf de Hausdächern un werfen Sprengladungen runter. Wjrden de Landsknecht nur de Unwesen jagen, weres der Strafe zu wejnig.«
     
    Ich hatte miterlebt, wie einem blinden Kaiser in den Kopf geschossen wurde und der vermeintlich tödlich Getroffene sich wieder erhoben hatte. Ich hatte zugesehen, wie Kreuzbeißers herausgerissene Zunge in sein Maul zurückgekrochen war. Ich hatte Ben Siras Bestrafung erlebt und den Sturz in den Pechsee überstanden. Doch auf das, was sich nun draußen auf der Straße abspielte, war ich nicht vorbereitet. Von Grauen erfüllt beobachtete ich, wie sich die zerfetzten Körper der Soldaten wieder zusammenzufügen begannen. Gedärme und Innereien schlängelten sich wie fette, blutige Würmer zurück in klaffende Bauchhöhlen und Brustkörbe, die sie aufnahmen und sich langsam wieder schlossen. Abgerissene Gliedmaßen krochen zu den Körpern, von denen sie stammten. Schädel, die in Helmen steckten, rollten quer über die Straße zu den Hälsen ihrer Torsos. Eine in unserer Nähe liegende Hand krabbelte spinnenartig zu einem jungen Soldaten zurück, der ihr seinen blutigen Armstumpf entgegenstreckte. Da der Trupp der Soldaten nicht innehielt, fuhren immer wieder Panzer oder Autos über die zusammenheilenden Körper und zerquetschten sie erneut. Irgendwann begann der jagende Tross sich schließlich zu lichten. Kurze Zeit später war es – von vereinzeltem, schrecklichem Röcheln und Stöhnen abgesehen – draußen wieder ruhig. Nun konnten auch die Unglücklichen, die von den schweren Panzerketten zermalmt und meterweit über dem Asphalt verschmiert waren, wieder Gestalt annehmen. Die Geräusche, die die sich regenerierenden Körper verursachten, waren unbeschreiblich. Ich konnte es nicht länger mit ansehen, legte den Kopf in die Arme, zog die Beine bis an die Brust und blieb in dieser Stellung hocken, bis von draußen kein Geräusch mehr zu hören war.
    Meliosch legte mir irgendwann eine Hand auf die Schulter. »’s ist vorbej«, informierte er mich.
    »Das ist alles nicht wahr«, flüsterte ich tonlos. »Das kann unmöglich wirklich geschehen …«
    »Ich wollt, ich kennt dir zustimmen, Hippolyt.«
    »Wieso dürfen sie nicht sterben? Selbst wenn sie einst Gräueltaten begangen haben, muss es ihnen gestattet sein, zu sterben! Nichts rechtfertigt, dass dies mit ihnen geschieht!« Ich verstummte, jeder Muskel an mir zitterte.
    »Det Recht zu sterben hob’n se schon vor langer Zejt in Anspruch genommen. Moralische Werte besitzen hier kejne Bedeutung mehr. Aus Kriegern sin willenlose Sklaven geworden. Ihre Regenten sin nun de Chroner.«
    »Aber womit hat ein Mensch so etwas verdient –

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