Mortal Kiss
verloren. Er zog sie an sich und spürte, wie ihr Kopf sich an seine Brust schmiegte.
»Ich muss es tun « , sagte er ihr trotz des dröhnenden Lärms ringsum und der Zauberformeln, die sein Vater sang, so behutsam wie möglich.
Faye sah zu ihm hoch. Und an die Stelle ihrer Verzweiflung war unvermittelt eiserne Entschlossenheit getreten. »Dann komme ich mit dir .«
»Was? Nein, Faye, das kannst du nicht … «
»Und ob! Und ich werde es tun! Annwn will möglichst viel Gefühl haben, ja? Na, ich würde sagen, davon hab ich im Moment jede Menge .«
»Du verstehst das nicht « , erwiderte Finn flehend. »Es wird schlimmer sein, als du es dir auszudenken vermagst. Ich kann nicht zulassen, dass du das erleidest. Und ich werde es nicht zulassen .«
»Du erwartest also, dass ich ohne dich weiter hier lebe, in dem Wissen, was du dort erleidest ?« , fragte Faye. »Glaubst du, das wäre für mich keine Folter ?« Sie schüttelte den Kopf, erhob sich auf die Zehenspitzen und legte ihm die Hände an die Wangen. »Finn, ich liebe dich. Wo du hingehst, da geh auch ich hin. Ich verlasse dich nicht .«
Finn sah in ihre feurigen, entschlossenen und schönen Augen. Er wollte sie küssen und erkannte, dass dies seine letzte Gelegenheit sein dürfte. Der Gesang seines Vaters wurde immer lauter und erreichte langsam sein Ende. Finn beugte sich vor, doch ehe ihre Lippen sich berührten, wurde er von Joe weggezerrt und zur Diskokugel gezogen.
»Dafür ist keine Zeit !« , schrie sein Vater. »Fass das Glas an, sofort !«
Finn tat, wie ihm befohlen, und drückte die Handfläche auf das Glasmosaik. Faye kam ihm nach, und ehe Finn sie zurückhalten konnte, hatte auch sie eine Hand an die Kugel gelegt. Joe stand neben ihnen und gesellte auch seine Pranke dazu. Dann rief er eine letzte Zauberformel, und seine Stimme hallte durch den Sturm ringsum.
Von irgendwo ertönte ein langer, dumpfer Schrei, eher tierisch als menschlich. Tief in der spiegelnden Oberfläche der Diskokugel wuchs eine schwarze Rauchsäule immer höher, bis sie nicht mehr in dem kleinen Gefäß zu halten war. Sie schoss aus dem glitzernden Rund und türmte sich über ihnen auf. In der Säule befanden sich weitere gekrümmte Geschöpfe und sahen mit totenkopfähnlicher Miene auf die Menschen unter sich herab.
Faye schrie auf, als die Säule sich senkte und sie aufsaugen wollte, und Finn drückte sie an sich. Er schloss die Lider und rechnete jeden Moment damit, dass Annwn ihn ergreifen würde. Doch es passierte nichts.
Finn öffnete vorsichtig die Augen und sah Faye in die schwarze, ölig wallende Säule blicken. Eine einzelne Gestalt hatte sich aus der verknäulten Masse verlorener Seelen gelöst. Es war eine bis auf die Knochen abgemagerte und dabei erkennbar traurige Frau. Sie starrte sie düster an.
»Die kenn ich « , rief Faye. »Die hab ich schon gesehen. In der Umkleide im Einkaufszentrum, im Spiegel … «
Die Gestalt schoss auf sie zu, und Finn spürte Faye zusammenzucken. Doch das Wesen griff nicht an. Es schwebte einen Moment vor ihnen und begann dann zu reden.
»Nein, dich nicht « , flüsterte sie, und ihre Stimme klang, als würden tausend stumpfe Messer aneinanderreiben. »Keinen von euch beiden. Meine Meister wollen diese Seelen nicht. Sie genügen ihnen nicht .«
Panik schoss Finn durch die Adern. Wenn das hier nicht klappte, hatten sie keine Wahl mehr. »Nein « , rief er, als die Figur wieder im Rauch zu versinken begann. »Warte! Bitte warte … «
Die verlorene Seele wandte sich ab. Finn dachte, sie würde verschwinden, doch stattdessen schoss sie auf Mercy Morrow zu. Die Magierin fuhr zurück, doch die Gestalt ritt auf dem Rauch heran, bis sie sich direkt gegenüber waren.
»Die hier « , fauchte sie, und ihre geisterhaft helle Stimme hallte durch den Saal, »die hier hat Angst genug, um uns alle damit zu nähren. Die hier !«
»Nein !« , rief Mercy. »Das dürft ihr nicht !« Sie drängte rückwärts. »Wer sollte ohne mich mit euch Geschäfte machen ?«
Die Gestalt grinste und entblößte scharfe, schreckliche Fänge. »Meine Meister finden einen Weg « , flüsterte sie. »Das tun sie immer .«
Mercy drehte sich um und wollte fliehen, doch plötzlich war der große, graue Wolf da und versperrte ihr knurrend und schnappend den Weg.
»Was machst du ?« , schrie Mercy das Tier an. »Du gehörst mir! Mir ! «
Der Wolf trieb sie zur Diskokugel zurück, und seine gelben Augen waren voller Zorn. Erst als sie an die Kugel gedrückt
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