Mortal Kiss
danach .«
Joe runzelte die Stirn. »Mich täuschst du nicht, Junge. Was ist passiert ?«
»Das hab ich doch gesagt .«
»Und ich kenne dich, Finn. Es ist was passiert .«
Finn schüttelte den Kopf und betrachtete, was er geschnitzt hatte: einen kleinen, heulenden Wolf. Seufzend klappte er das Messer zu und schob es mit dem Tier in seine Tasche. Es war zwecklos, etwas vor seinem Vater verbergen zu wollen, und vermutlich sollte er davon erfahren. Einiges jedenfalls. »Letzte Nacht gab es eine Jagd .«
»Doch nicht in dieser Gegend. Das hätten wir gespürt .«
»Weiter südlich, nahe der Straße in die Stadt .«
»Hast du sie gesehen ?«
»Nein « , sagte Finn. »Ich hab unterwegs ein Mädchen aufgelesen. Sie war vor ihnen auf der Flucht .«
Joe kniff die Augen zusammen. »Was für ein Mädchen ?«
Finn seufzte, denn er wusste, was sein Vater sagen würde. »Das Mädchen aus dem Einkaufszentrum .«
»Und die hast du also zufällig im richtigen Moment getroffen ?«
»Ja. Ich hab Wort gehalten. Ich hab sie nicht gesucht. Aber ich konnte sie dort nicht zurücklassen. Das weißt du .«
Joe schüttelte den Kopf. »Finn, du weißt, was letztes Mal geschah. Du darfst das Mädchen nicht an dich ranlassen. Nicht wieder. Du musst Abstand wahren .«
Finn schüttelte den Kopf. »Und wenn ich nicht will? Wenn es einen Grund gibt, warum wir hier sind? Wenn das eine zweite Chance ist ?«
»Wir haben einen Grund, hier zu sein !« Joe hob die Stimme über das morgendliche Vogelgezwitscher. »Aber es geht nicht um dieses Mädchen! Das weißt du .«
Finn drehte den Kaffeebecher um, und der Bodensatz lief ins Feuer. »Ich weiß, weshalb wir hier sind « , erwiderte er leise. »Aber ich sehe nicht ein, dass dieses Vorhaben den Rest meines Lebens bestimmen muss … oder dass es dir das Recht gibt, mir vorzuschreiben, wie ich zu leben habe .«
»Ich passe nur auf dich auf, Finn .«
Sein Sohn schüttelte den Kopf. »Das kannst du nicht, Dad. Nicht für immer. Und das … das ist zu wichtig für mich. Versuch das zu verstehen .« Er wandte sich ab und ging zu seinem Bike.
»Finn !«
Der Junge antwortete nicht. Er schwang ein Bein über den Sattel und trat den Motor an, dessen dumpfes Grollen den Morgenchor kurz übertönte. Dann fuhr er in die Dämmerung davon und hielt nicht mal an, um seinen Helm aufzusetzen.
Die Luft war kalt. Sie ließ Finns Augen tränen, doch er fuhr nicht langsamer. Auf dem Weg zur Straße rutschte er zwischen Bäumen hindurch und wirbelte Schnee auf. Zorn ließ das Blut in seinen Adern rauschen. Zorn auf seinen Vater, darauf, dass er gesagt hatte, was Finn schon wusste, aber nicht hören wollte; Zorn darauf, dass sein Leben nicht einfacher war, dass er nicht schlicht zu dem Mädchen gehen und sie zu einem Ausflug einladen konnte, wie jeder normale Teenager es täte. Er hatte ihren Blick gesehen. Er war sich sicher, dass sie gestern Abend diesen Kuss genauso sehr gewollt hatte wie er.
Aber sein Leben war nicht normal. Er war nicht normal, so sehr er das auch wünschte, und genau das hatte ihn zurückgehalten. Die Angst, das einmal Geschehene könnte sich wiederholen. Die Angst, sie würde ihn, wenn sie es entdeckte, sowieso ablehnen. Die Angst, dass sein Leben selbst jetzt nicht ihm gehörte.
Die Wut und Angst trieben ihn dazu, immer schneller zu rasen, ein immer waghalsigeres Tempo zu fahren. Aber der Angst zum Trotz hatte er sich entschieden. Er würde wieder mit ihr reden, egal, was sein Vater angeordnet hatte. Finn musste wieder mit ihr reden. Er konnte nicht in dieser Welt leben und wissen, dass auch sie darin lebte, ohne mit ihr zu sprechen, sie zu sehen, sie zu kennen .
Er hörte die Sirene, bevor er das Blaulicht sah. Ein Streifenwagen , dachte Finn. Na toll … das ist genau das, was ich jetzt brauche.
Er überlegte, noch stärker zu beschleunigen, besann sich aber eines Besseren. Das würde nur neuen Ärger geben und sie von ihrer Aufgabe ablenken, und das war sein Zorn nicht wert. Also drosselte er das Tempo, achtete aber darauf, dass ihm das Hinterrad nicht wie am Vorabend wegrutschte, und hielt auf dem nächsten Seitenstreifen.
Er schaltete den Motor aus, schwang sich vom Sattel, lehnte sich an sein Fahrzeug, erwartete den Polizisten und stellte fest, dass es sich um denselben Mann handelte, der am Tag ihrer Ankunft in den Wald gekommen war, um mit seinem Vater zu reden. Sergeant Wilson. Finn nickte ihm höflich zu, sagte aber nichts.
»Führerschein und Fahrzeugpapiere, bitte
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