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Mortimer & Miss Molly

Mortimer & Miss Molly

Titel: Mortimer & Miss Molly Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Heinisch
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bedächtig er den Pecorino und den Prosciutto schnitt. Dieser sanft blickende und leise sprechende Mann würde sich, dachte man, mit der Schneidemaschine nie einen Daumen abschneiden, und das hatte etwas sehr Beruhigendes.
    Meist trafen sie schließlich noch Nino,
il postino
. Nino, der, wie er ihnen gleich in einem ihrer ersten Gespräche erzählte, nicht nur Briefträger war, sondern auch
arbitro
, Fußballschiedsrichter. Zwar nicht bei Spielen der Serie A, sondern in etwas weniger avancierten Spielklassen. Aber es war ihm daran gelegen, dass man das zur Kenntnis nahm und dass man zu würdigen wusste, was das bedeutete.
    Erstens, bitteschön, trage ein Schiedsrichter große Verantwortung für einen den Regeln entsprechenden Spielverlauf. Doch zweitens, und das wüssten die Wenigsten, erbringe er eine enorme sportliche Leistung. Es gebe Studien, aus denen hervorgehe, dass ein guter Schiedsrichter während der neunzig Minuten einer
partita
mehr laufe als die meisten Spieler. Ja, ob Sie es glauben oder nicht, manchmal ist der Schiedsrichter der beweglichste Mann auf dem Spielfeld.
    Und Nino
war
so ein beweglicher Mann. Obwohl er, von eher rundlicher Statur, nicht ganz so aussah, aber das, auf diese Feststellung legte er Wert, sei ein Vorurteil. Aufgrund seiner guten Kondition könne er an einem Vormittag mehr Briefe austragen als jeder seiner Kollegen, folglich sei es nur recht und billig, wenn er sich ab und zu eine kleine Pause gönne. Es traf sich, dass er Marco und Julia meist vor der
Bar Centrale
auf der Piazza begegnete.
    Posso offrire qualcosa?
Darf ich Sie auf etwas einladen?
    Er war nett, keine Frage, aber er neigte dazu, alles, was er sagte, zu wiederholen. Häufig in einem Nennform-Italienisch, das er, wie er bemerkte, um der Signorina willen sprach. Auch wenn ihn Marco darauf aufmerksam machte, dass das nicht nötig und seiner Meinung nach sogar schädlich sei, wenn jemand wie Julia die Sprache ordentlich lernen wollte.
    Dazu kam, dass er Julia manchmal auf eine Art ansah, die ihr zu denken gab. Er hatte einen Blick wie ein Dackel und sah drein, als wollte er gestreichelt werden. Und er konnte es nicht lassen, Marco in lange Gespräche über große Fußballmannschaften und legendäre Fußballer zu verwickeln. Meist Namen, die Julia nichts sagten, weswegen sie, bei aller gutartigen Geduld, manchmal daran erinnern musste, dass sie eigentlich noch etwas anderes vorhatten.
    Fellini hätte all diese netten Leute und noch einige mehr in seinen Film einbezogen. Und das wäre dann wahrscheinlich ein Film geworden wie
Amarcord
, an den sich Julia gern erinnerte.
Ma per dire la verità
, um die Wahrheit zu sagen, sagte Marco, gerade diesen Film möge er nicht besonders. Er habe nicht so viel übrig fürs Anekdotische.
    Er hatte etwas anderes im Sinn – das heißt, er
hatte
es noch nicht ganz. Aber er wartete eben, dass es ihm einfiel. Am ehesten würde es ihm oben im Park am Steintisch einfallen. Die Stille, das Vogelgezwitscher, der Chor der Zikaden: Der Hain um den Steintisch, ein Ort, an den sich damals noch kaum jemand anderer verirrte, war zweifellos ein Ort der Inspiration.
    Julia begleitete ihn gern dort hinauf, aber sie blieb nicht. Eine Weile sah sie ihm gern beim Denken zu, aber länger wollte sie ihn nicht dabei stören. Alles Mögliche und Unmögliche spukte ihm im Kopf herum, aber der entscheidende Impuls fehlte noch. Du wirst sehen, der wird schon noch kommen!, sagte Julia. Und nach diesen Worten küsste sie ihn und ging wieder in den Ort hinunter.
    Meist ging sie dann zurück ins Café, setzte sich unter einen der Sonnenschirme im Hofgarten und bestellte sich einen Campari. Und las Walt-Disney-Taschenbücher oder die Bibel, beides auf Italienisch, das sie natürlich noch lang nicht konnte. Aber mit beiden Texten konnte sie etwas anfangen. Denn da wusste sie ungefähr, worum es ging.
    Die zentralen Figuren waren ihr von Kind an vertraut. Micky Maus hieß auf Italienisch
Topolino
, Donald Duck hieß
Paperino
und Gott hieß
Dio
oder
Il Signore
. Und die Bibel,
La Sacra Bibbia
, war eine schöne Ausgabe mit Faksimiles alter Illustrationen. Im Vergleich zu den Walt-Disney-Taschenbüchern fehlten nur die Sprechblasen.
    Und dann trafen sie einander entweder zu einem Picknick oben im
giardino
oder fuhren hinunter an den Fluss. Zwar war das Ufer fast zugewachsen, aber sie suchten und fanden Wege durch Macchia und Ginster, ohne übertriebene Angst vor Zecken oder Schlangen. Und sowohl im
giardino
als auch

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