Mortimer & Miss Molly
sie sich dort eine schlichte Margherita, so war das für ihre damaligen Verhältnisse fast schon ein Luxus.
Und außerdem waren sie beide neugierig. Zwar hatten sie die Andeutungen dieses Herrn Mellows nicht ganz verstanden, aber so viel hatten sie kapiert, dass er etwas auf dem Herzen hatte. Etwas, das er anscheinend loswerden wollte. Sie dankten also für seine Einladung, sie müssten sich, sagten sie, nur noch fertig anziehen – so wie sie waren (er oben und sie unten ohne), konnten sie nicht bleiben.
I see
, sagte er. Okay. Ist es Ihnen recht, wenn wir uns in einer halben Stunde treffen? Ich glaube, es ist am besten, wenn wir alle mit
meinem
Wagen fahren. Er steht auf dem kleinen Parkplatz unter der Stadtmauer. Ich erwarte Sie dort um halb acht. Und damit zog er sich dezent zurück.
Das Auto war ein Dodge mit einer römischen Nummer, offenbar ein Leihwagen. Da sich Marco und Julia nicht voneinander trennen wollten, setzten sie sich beide auf den Rücksitz. Einen Moment lang hatten sie den Eindruck, dass das den Amerikaner enttäuschte, vielleicht sogar kränkte. Er hätte wahrscheinlich gern ihn oder lieber noch sie auf dem Beifahrersitz neben sich gehabt, aber sie blieben innig beisammen und hielten sich in den Kurven, die man im Fond des langen Vehikels sehr deutlich spürte, aneinander fest.
Nach einer Weile wurden die Serpentinen weniger. Doch die Straße hob und senkte sich in weitläufigen Wellen. Synchron dazu hob und senkte sich ihnen der Magen. Mit der Zeit jedoch wurde das besser – vielleicht lag es daran, dass sie die Schönheit der Landschaft nun ablenkte.
Die Sommersonnenwende war zwar schon ein paar Wochen vorbei, aber die Tage waren noch lang. Noch war es hell. Die Gegend sah aus wie eine hoch gelegene Heide. Der Himmel darüber, mit in weiße Streifen zerteilten Wolken, wirkte wie ausgekehrt. Im Westen, dort wo das Meer sein musste, glühte noch eine Erinnerung an die vor kurzem abgetauchte Sonne nach.
Manchmal traf sie Mortimers Blick durch den Rückspiegel.
What a pretty couple you are
, sagte er, und damit hatte er ja Recht, sie waren ein hübsches Paar.
Dann wurde es allerdings dunkel, und er konnte sie kaum noch sehen. Und auch sie konnten nicht mehr viel von der Landschaft draußen erkennen.
Schließlich bog Mortimer ab, im Licht der Scheinwerfer sahen sie mehrere Hinweistafeln. Darunter eine mit dem Ortsnamen
Vivo
. Das sei aber ein hübscher Name, sagte Julia:
Ich lebe
.
That
’
s where we are going
, sagte Mortimer.
Die
Osteria
lag allerdings etwas außerhalb des Ortes. Sie setzten sich an einen der massiven Holztische im Garten, unter einen allem Anschein nach sehr alten Kastanienbaum. Über dem Tisch hing eine Laterne aus Schmiedeeisen und geriffeltem Glas. Über dem Haus, aus dem der Wirt kam, der sie herzlich begrüßte (er schien den Amerikaner seit langem zu kennen), hing der Mond.
Das Essen war wirklich gut, diesbezüglich hatte ihnen Mortimer nicht zu viel versprochen. Die Pilze waren die ersten
funghi
porcini
dieser Saison, und das Wildschwein, das dann als zweiter Gang folgte, war zarter, als sie das von einem Tier dieser Gattung erwartet hatten. Allerdings machte das Essen Durst, und der Wein, erst ein grün schimmernder Weißer, in dessen Blume man noch die Blätter und den guten Boden ahnte, auf dem er gewachsen war, dann ein Roter, der eine entschieden kräftigere Tönung hatte als der Doppelliterchianti aus dem
Coop
-Laden, wurde, kaum hatten sie eine Karaffe leer getrunken, rasch wieder nachgefüllt. Vor allem Mortimer sprach dem Wein tüchtig zu – damals waren die Alkoholkontrollen auf Italiens Straßen noch nicht so rigid wie in späteren Jahren, und obschon er gewisse Probleme mit den Carabinieri andeutete, die mit seiner Aufenthaltsbewilligung zusammenzuhängen schienen, fürchtete er offenbar nicht, auf der Rückfahrt angehalten zu werden.
Er brauchte wohl etwas, um seine Zunge zu lockern. Trotz seiner Statur, die etwas Bärenhaftes hatte, machte er den Eindruck eines zurückhaltenden, vielleicht sogar schüchternen Menschen. So viel war klar, dass er den beiden, die er zu diesem Abendmahl eingeladen hatte, etwas mitteilen wollte. Aber es dauerte, bis er zur Sache kam.
Vielleicht war es auch nur Höflichkeit, dass er sie zuerst nach ihren Verhältnissen fragte. Er hatte sie miteinander Französisch sprechen gehört, deshalb hielt er sie vorerst noch für Franzosen.
No
, sagte Marco,
sono italiano, da Torino
. Und die Signorina komme
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