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Mortimer & Miss Molly

Mortimer & Miss Molly

Titel: Mortimer & Miss Molly Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Heinisch
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sein Amerikanisch für eine gepflegtes Englisch sprechende Britin schwer zu ertragen ...
    Und doch: Es war etwas an ihm, das sie anziehend fand ... Vielleicht war es die Ähnlichkeit seines Blicks mit dem Blick des Katers ... Außerdem sah er gar nicht so übel aus ... Während Molly so dalag, schlaflos, unter dem Dach, über das nun irgendwelche nachtaktiven Tiere liefen, wahrscheinlich waren es Marder, sah sie ihn wieder vor sich, wie sie ihn ein paar Stunden zuvor gesehen hatte.
    Wie das Wasser, das er sich aus dem schweren Kanister über den Kopf gegossen hatte, an seinem kräftigen Rücken hinunterrann. Wie die Haut, die er zuvor mit dem von ihr geopferten vorletzten Stück Seife eingeseift hatte, glänzte. Gewiss, er war nicht so schmalhüftig wie die Skulpturen, die Molly immer wieder gern angesehen hatte, wenn sie nach Florenz gekommen war, sein ganzer Unterbau hatte nicht die kokette Eleganz dieser Figuren von Michelangelo und Konsorten, Standbein, Spielbein. Aber sein Körper, den sie da vor sich gesehen hatte und dessen Nachbild sie jetzt noch vor sich sah, egal ob sie die Augen offen hielt oder schloss, war ein lebendiger Körper, Fleisch und Blut.
    Ein Körper, in dem Atem war, ein lebendiges Wesen. Ein Körper, den sie hätte berühren können, hätte sie ihren Arm ausgestreckt. Aber das wäre ja noch schöner gewesen, ihn nicht bloß so anzuschauen, so unverschämt, ohne Scham angesichts ihres offensichtlichen Interesses. Sondern ihn auch noch zu berühren, seine Konturen nachzuziehen mit vorwitzigen Fingern.
    Ein Körper, der nun im Nebenraum atmete, nur wenige Meter von Molly entfernt. Er atmete schwer, dieser Mortimer, aber friedlich. Vermutlich hatte sowohl die Schwere seines Atems als auch der scheinbar tiefe Friede seines Schlafs mit dem Wein zu tun, den er nicht gewöhnt war. Vielleicht schlief er ja traumlos. Und vielleicht war das im Moment das Beste, was er tun konnte.
    Auch Molly schlief ein wenig ein, für ein paar Minuten, wie ihr vorkam, vielleicht waren es zwei oder drei Stunden. Aber dann schreckte sie auf: Draußen graute der Morgen. Wenn die Deutschen eine Razzia beginnen sollten, dachte sie, dann jetzt. Ein paar Mal glaubte sie es schon unten an die Tür pochen zu hören, aber das war nur das Pochen ihrer Furcht.
    Das Pulsieren des Blutes in ihren Ohren, der Schlag ihres Herzens. Die Deutschen hätten zweifellos heftiger gepocht. Und sie pochten nicht. Anscheinend gab es keine Razzia. Oder es gab sie doch, aber irgendwo anders.
    Irgendwo anders (vielleicht überall anders) im Ort. Überall anders, aber hier eben nicht. Der Garten und das Mauerhaus waren tabu. Bisher hatte die Magie gewirkt, und vielleicht wirkte sie ja noch weiter.
8
    Tatsächlich war es nicht nur Magie, die hier wirkte. Oder jedenfalls nicht die Magie, die sich Molly vorstellte. Es war der Nimbus der Familie Bianchi. Die Bianchis waren eine der nobelsten Familien in Italien.
    Uralter Adel. Besitzungen im ganzen Land. Und Beziehungen, die mindestens ebenso verzweigt waren wie ihr Stammbaum. Gewisse rüde Formen des Umgangs waren den Bianchis gegenüber unangebracht. Wenn es an diesem Morgen tatsächlich eine Razzia gegeben haben sollte, blieben natürlich nicht nur der
giardino
und das Mauerhaus davon verschont, sondern zuallererst der Palazzo Bianchi.
    Der Palazzo, in den der Kommandant, ein Major Z., öfter zum Abendessen eingeladen war. Der war, seiner Selbsteinschätzung zufolge, ein Kulturmensch. Was ihn nicht daran hinderte, später oben in San Vito Alto noch ein finales Blutbad anrichten zu lassen. Aber man muss verstehen, sagte er ungefähr vierzig Jahre danach (nicht etwa zu einem Richter, sondern zu einer Journalistin, die er schließlich, als ihre Fragen die Grenzen des Anstands, wie er das sah, überschritten, aus seinem schönen Haus irgendwo in den österreichischen oder bayrischen Alpen warf), man muss verstehen, dass wir damals, in dieser beschissenen Lage, etwas nervös wurden.
    Doch das kam erst. Vorläufig fühlte sich dieser Kommandant noch recht wohl in seiner Haut. Das Kommando hier war gar nicht so übel. Vor allem der Umgang mit den Bianchis gefiel ihm. Da konnte man sagen, was man wollte, diese Leute hatten Stil.
    Nicht nur, dass man bei ihnen, der immer schwieriger werdenden Versorgungslage zum Trotz, sehr gepflegt speiste ... All diese pikanten Antipasti und diese schmackhaften Primi und dann endlich die Secondi, etwa Fasane oder Kaninchen, die der Marchese immer noch irgendwo auftrieb,

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