Mortimer & Miss Molly
seine Vespa gestiegen und zum Fest heruntergefahren.
Konnte sich Julia da wirklich ausschließen? Na schön, sagte sie. Ich geh mit. Aber nur auf eine halbe Stunde.
Allora
, sagte Marco – das klang in dieser Situation fast wie: Na also! Und er bot ihr den Arm, als ob sie auf einen Ball gingen.
Wie sich herausstellte, hatte man für das Fest nur den oberen Teil des Gartens okkupiert. Na immerhin, dachte Julia, halb so schlimm. Allerdings empfand sie den Geruch von Salsicci und Porchetta, der schon hier unten in der Luft lag, als Stilbruch. Besonders beim Vorbeigehen am Mauerhaus ging es ihr so: Was hätte Miss Molly dazu gesagt, der sie sich letzthin manchmal so nah gefühlt hatte?
Der Turnierplatz auf der oberen Etage des Gartens war dicht mit Buden und Zelten verstellt. Den Steintisch, an dem Marco in den vergangenen Wochen doch einiges an Inspiration empfangen hatte, anfangs allein, dann immer häufiger mit Julia an seiner Seite, diesen Steintisch sahen sie vorerst gar nicht. Später begriffen sie, dass er in die Feldküche integriert worden war, in der schon die Speisen und Getränke für die
cena
, das kollektive Abendessen, vorbereitet wurden. Salsicci, die auf dem Grill brutzelnden kleinen Bratwürstchen, und Porchetta, gar nicht so kleine Scheiben vom Spanferkel, gab es aber schon jetzt, am hellen Nachmittag.
Nicht nur ans leibliche Wohl der Besucher war indessen gedacht worden, sondern auch ans geistige. Es gab eine ganze Reihe Verkaufsstände mit Büchern. Und durchaus nicht nur mit Büchern von Marx, Engels und Lenin, den man schon etwas nach hinten gereiht hatte. Nein, da gab es auch Bücher von – nur zum Beispiel – Cesare Pavese, Pier Paolo Pasolini, Natalia Ginzburg und Italo Calvino.
Julia entdeckte sogar eine italienische Ausgabe ausgewählter Werke von Heine. Ein hübscher, handlicher Band mit einem Kupferstichporträt des Autors auf der zweiten oder dritten Innenseite.
Enrico
Heine mit halblangen Haaren, elegant gestutztem Bart und langen Wimpern, die seinen Blick unvergleichlich melancholisch machten. Ein schöner Mann,
però
, sagte Marco, ein politischer Kopf, aber das sei ja kein Widerspruch.
Julia kaufte das Buch. Marco hingegen erstand einen Band der
Quaderni di Galera
. Das seien, erklärte er ihr, die
Gefängnishefte
von Antonio Gramsci, dem Philosophen, den die Faschisten eingesperrt hatten, kaum dass sie an der Macht waren. Sind die Intellektuellen eine Klasse oder zumindest eine gesellschaftlich relevante Gruppe, habe sich Gramsci gefragt. Und wenn sie es nicht sind, was müssen sie tun, um es zu werden?
Natürlich gab es auch eine Tribüne, und auf dieser Tribüne wurden vorerst einige Vorträge gehalten, von denen Julia wenig verstand. Obwohl Marco versuchte, ihr einiges davon zu übersetzen, nach wie vor aus dem Italienischen ins Französische. So toll war ihr Französisch ja auch nicht, dass sie all die politischen Begriffe, die da gebraucht wurden, auf Anhieb kapierte. Sie bekam allerdings mit, dass es um den
compromesso storico
ging, den historischen Kompromiss zwischen undogmatischen, eurokommunistischen Linken und aufgeschlossenen Christdemokraten, der in den vergangenen Jahren beinahe zustande gekommen wäre, aber dann doch nicht zustande gekommen
war
.
Hier in San Vito jedoch hatte das anscheinend geklappt. Jedenfalls war nicht nur der kommunistische Bürgermeister auf dem Fest, ein überraschend junger Mann, der sein Sakko, das er wegen der feuchten Spätsommerhitze ausgezogen hatte, lässig über der linken Schulter trug, sondern auch der Filialleiter der
Banca Cattolica
. Ein etwas fülliger, aber beweglicher Herr, der Julia behilflich gewesen war, als es um eine Überweisung von ihrem Studentenkonto aus Wien ging. Sie hatte ja nicht damit gerechnet, so lang in Italien zu bleiben, und brauchte noch ein bisschen Geld.
Klar war die halbe Stunde, die Julia auf dem Fest hatte bleiben wollen, dann schon längst vergangen, aber da gab es noch eine Tombola. Und nachdem Marco für beide Lose gekauft hatte, sowohl für sich als auch für sie, wollten sie die Ziehung abwarten. Der Hauptpreis war immerhin ein Auto, hergestellt bei Fiat von klassenbewussten Arbeitern. Aber leider gewann Julia nur einen Schlumpf, den sie dann gleich einem Kind schenkte, und Marco gewann gar nichts.
Und dann wollten sie schon gehen – gerade hatte Julia, der all der Trubel nun doch zu viel wurde, Marco überredet, nicht auf die große Ausspeisung zu warten, sondern lieber mit ihr nach
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