Mortimer & Miss Molly
Fahnen. Mehrere Lastautos hielten auf der Piazza, starke Männer luden große Tische und lange Bänke ab und trugen sie durchs Tor. Marco lag noch im Bett. Aber was treiben denn die da unten?, fragte sie. So steh doch auf und schau! Ich glaube, die okkupieren unseren Garten!
So empfand sie das im ersten Moment.
Unser
Garten. Spontan war ihr diese Formulierung über die Lippen gekommen. Der Garten war der Bereich, von dem ihr Fantasiespiel seinen Ausgang genommen hatte. Was immer sich jetzt da unten anbahnte, kam ihr wie ein Sakrileg vor.
Doch Marco reagierte anders als sie.
Ma ragazza!,
sagte er.
È la festa dell
’
Unità!
Das war also das
Unità
-Fest, das da vorbereitet wurde. Ihn schien das nicht zu stören, sondern er sah es ganz offensichtlich mit Sympathie.
Das
Unità
-Fest, das traditionelle Fest der PCI. Natürlich hatte Julia schon davon gehört. Von diesem Fest, das jeden Sommer in so gut wie allen italienischen Gemeinden stattfand. Kein bloß politisches Fest, das nur Mitglieder oder Mitläufer der kommunistischen Partei anlockte, sondern, so hieß es, ein weit über die Parteigrenzen hinausreichendes Volksfest.
Am Anfang dieses Sommers, als sie noch brav den Italienischkurs in Siena besucht hatte, waren ihr Marianne und Susanne mit wiederholten Hinweisen auf dieses Fest auf die Nerven gegangen. Wie der Ankündigung auf zahlreichen Plakaten zu entnehmen war, sollte es an einem Wochenende stattfinden, zu dem sie noch in Siena sein würden. Da müssten sie unbedingt hin, hatte Susanne gesagt, das gehöre einfach dazu, hatte Marianne gesagt, das dürften sie nicht versäumen. Das
Unità
-Fest hatte für die beiden, die aus kleinbürgerlich-konservativen Familien stammten, eine geradezu wildromantische Attraktivität.
Was Julias Herkunft betraf, so verhielt es sich damit nicht wesentlich anders. Es hätte sie, die unmittelbar nach der Matura nach Wien gegangen war, nichts wie weg von verkrampfter Wohlanständigkeit und obligatem Kirchenbesuch am Sonntag, durchaus reizen können, das Fest einer Partei zu besuchen, vor der ihre Eltern sie gewarnt hatten. Außerdem hatten die italienischen Kommunisten, sehr zum Unterschied von ihren österreichischen Genossen, für die linksbewegten Studenten, unter die sie dann geriet, einen gewissen Sexappeal. Aber es nützte nichts, Julia hatte – aus einem vielleicht sehr gesunden Instinkt – eine starke Abneigung gegen größere Menschenansammlungen.
Dazu kam, dass ihr die Vorstellung, Susanne, die manche Hemmschwellen nicht zu kennen schien, aus voller Brust
Avanti Popolo
singen hören zu müssen, ausgesprochen peinlich war. Als sie mit Marco nach Süden aufbrach, war es ihr auch eine kleine Genugtuung am Rande gewesen, dass sie sich das damit ersparte. Und nun holte sie das
Unità
-Fest hier in San Vito ein. Zwar ohne Susanne und Marianne, aber sicherlich mit allzu vielen Menschen – Julia war und blieb skeptisch.
Ma come mai
– gegen das
Unità
-Fest könne man doch nichts haben, sagte Marco. Dieses Traditionsfest der italienischen Linken müsse man respektieren. Ja, nicht nur das. Da sollte man einfach dabei sein. Komm schon,
amore
! Du musst dich doch nicht so zieren.
Das war schon am Nachmittag. Vergebens hatte Julia versucht, ihn zu einem Ausflug irgendwo anders hin zu überreden. Mit einer Selbstverständlichkeit, die sie nicht nur wunderte, sondern auch ein bisschen ärgerte, wollte er an diesem Fest teilnehmen. Noch etwas mehr ärgerte sie die Selbstverständlichkeit, mit der er davon ausging, dass sie letzten Endes doch mitkommen würde. Schon aus Prinzip hatte sie vor, lieber ins
Caffè Italiano
zu gehen, sich in den Hinterhofgarten zu setzen und zu lesen.
Doch das war gar nicht so einfach. Der Menschenstrom bewegte sich in der Gegenrichtung. Ein Festzug war offenbar unterwegs Richtung Garten. Und wer marschierte an der Spitze des Festzugs und trug trotz eines Bandscheibenschadens, von dem er ihnen erzählt hatte, eine schwere rote Fahne? – Der alte Pietro! Und im Spalier, durch das sich der Festzug bewegte, stand Bruna, sichtlich stolz auf ihren Mann, und winkte.
Und in der
banda
, der Kapelle, die den Festzug durch die Via Dante und über die Piazza begleitete, blies Antonio die Oboe. Und
Il veloce
, der bedächtige Lebensmittelhändler, war da, ebenso wie Nino, der flinke Briefträger. Und Paolo, der kleine Fotograf, musste natürlich auch dabei sein. Sogar Narciso, der Katzenfreund, den sie oben in San Vito Alto kennengelernt hatten, war auf
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