Mortimer & Miss Molly
beim Vögeln. Das kam ihr allerdings lang nicht so lustig vor wie sonst, wenn Marco dabei war. Wenn seine launigen Kommentare fehlten, fand sie es eher traurig, dass sich Gott oder die Natur nichts Besseres und Ästhetischeres hatte einfallen lassen als diesen Akt, der sich, jedenfalls wenn ihn die Schildkröten demonstrierten, wieder einmal als exemplarisch plump erwies.
Sie kehrte also zurück, um zu sehen, ob Marcos Telefongespräch mit seiner Mutter schon zu Ende war. Und da stand die Tür zur Telefonzelle offen, und Marcos Stimme war jetzt deutlicher zu hören als vorher. Und das war Marcos Stimme, aber sie klang ganz anders als sonst. Sie klang nicht wie die Stimme eines erwachsenen Mannes, sondern wie die eines Schulbuben.
Defensiv, dieser Tonfall. Julia verstand ja damals längst nicht alles. Aber es klang so, als würde er sich wiederholt für irgendetwas entschuldigen. Sie hörte schnell wieder weg. Sie gesellte sich zu Pietro und Bruna, die draußen unter dem grün-weiß gestreiften Sonnendach standen. Als Marco endlich aus der Telefonzelle herauskam und Pietro um eine Zigarette bat, an der er dann nervös zog, sprach sie ihn wohlweislich nicht darauf an.
So viel hatte sie jedoch nach und nach mitbekommen, dass ihn seine Mutter schon seit einiger Zeit wieder in Turin zurückerwartete. Er war nach Siena gefahren, um an einem Seminar über französischen Film teilzunehmen, aber dieses Seminar war längst zu Ende. Zwar hatte er angekündigt, dass er danach möglicherweise noch ein wenig in der Toskana bleiben würde, vielleicht eine Woche, hatte er gesagt, vielleicht auch zwei. Aber inzwischen war gut ein Monat vergangen, und da machte sich eine Mamma wie die seine natürlich Sorgen um ihren Sohn, auch wenn dieser Sohn schon zwei oder drei Jährchen über dreißig war.
Nicht dass er noch zu Hause bei ihr wohnte, er hatte seit Beginn seines Studiums eine kleine, aber – wie er sie beschrieb – gemütliche Wohnung in der Nähe der Universität. Doch dass er mindestens zwei Mal pro Woche zu Mamma essen ging, war obligat. Und das war nicht nur gut, was das Essen betraf, sondern auch eine gute Tat. Denn die Mutter war seit dem zu frühen Tod des Vaters vor einigen Jahren trotz der fast ständigen Anwesenheit einer treuen Haushaltshilfe namens Nelda ziemlich einsam.
Es war auch praktisch, denn bei Gelegenheit dieser Besuche konnte Marco ein wenig Wäsche dalassen. Das war keine Zumutung für die Mutter, sondern etwas, das man Nelda, die seit dem tragischen Todesfall ohnehin weniger Wäsche zu waschen hatte, ohne besonders schlechtes soziales Gewissen überlassen konnte. Die gute Frau war ja froh, diesen Job zu haben. Klar würde so etwas nicht mehr recht passen, wenn der Sozialismus, den Marco als die einzig richtige Perspektive für die Zukunft sah, einmal Realität würde, aber vorläufig war es ja noch nicht ganz so weit.
Nun, gegen Ende August, war es jedenfalls so weit, dass Marco die Mamma nicht mehr länger warten lassen konnte. Sie erschien ihm schon im Traum, und das gab ihm (und Julia) zu denken. Mit dem Wetterwechsel kam für gewöhnlich ihre Migräne. Und das schien Marco trotz der rund vierhundert Kilometer zwischen Turin und San Vito zu spüren.
Da war er ganz einfach nicht mehr so recht bei der Sache. Weder beim Gedankenspiel über den weiteren Verlauf der Geschichte von Mortimer und Molly noch beim Liebesspiel. Da fiel ihm auch sein Praxisjahr als Arzt wieder ein. Versäumte er gewisse in diesem Zusammengang wichtige Termine, so würde das fatale Folgen für sein weiteres Leben haben.
Ja, dann ..., sagte Julia. Auch sie habe ja ihre
impegni a casa
. Das klang so schön glatt:
ihre Verpflichtungen zu Hause
. Sie wusste zwar keineswegs so konkret wie er, welche Verpflichtungen das sein sollten. Aber ihr Selbstwertgefühl brauchte diese Behauptung.
Sie sagten Fantini also, dass sie am nächsten Vormittag abfahren würden. Gewiss schliefen sie in der letzten Nacht noch miteinander, aber Julia war zum ersten Mal traurig dabei. Natürlich wollte sie sich das nicht anmerken lassen. Sie fing danach sogar etwas hysterisch zu lachen an, was Marco, der sich kurz einbildete, es habe etwas mit ihm zu tun, irritierte, doch sie versicherte ihm, dass es nichts mit ihm zu tun habe, rein gar nichts, jedenfalls nichts mit seiner Anatomie, die ihr nach wie vor gefiel, aber
sul serio
, im Ernst.
Am nächsten Morgen bezahlten sie also ihre Rechnung, halbe-halbe, und verabschiedeten sich von Fantini. Und dann
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