Mortimer & Miss Molly
fuhren sie los, nahmen ihren ersten Abschied von San Vito. An der Porta Pellegrini, durch die sie den Ort vor mehr als drei Wochen zum ersten Mal betreten hatten, hielt Marco noch kurz an. Er stellte die
Minolta
auf ein Mäuerchen und dann lief er schnell auf den bis dahin leeren Platz neben Julia, die pittoresk unter dem Torbogen posierte – so warteten sie auf das Surren des Selbstauslösers.
24
Julia hatte eine Rückfahrkarte ab Siena, wo Marco sie noch zum Bahnhof bringen würde. Doch auf dem Weg dahin, schon auf der Höhe von Buonconvento, kam sie auf die Idee, dass sie die Rückfahrt auch von woanders antreten könnte. Zum Beispiel von Florenz. Marco würde doch von Siena zuerst einmal Richtung Florenz fahren, oder? Na eben! Und sie müsste in Florenz ohnehin vom Regionalzug in den Fernzug umsteigen. Na also! Dann müssten sie sich doch eigentlich erst in Florenz trennen. Sie würden das Auto am Bahnhof parken und sich nach den Abfahrtszeiten der nächsten Züge nach Wien erkundigen. Vielleicht sei noch Zeit genug, um ein paar Schritte ins
centro
storico
zu tun. Vielleicht könnten sie (das war dann Marcos Vorschlag) noch ein Eis miteinander essen oder einen Kaffee miteinander trinken.
Noch bevor sie in Florenz vom Raccordo Autostradale abfuhren, hatte Julia allerdings eine andere Idee. Wenn Marco, wie er gerade erwähnt hatte, von Florenz aus nach Westen fuhr, um die Aurelia zu erreichen, die Autobahn, die dann an der ligurischen Küste entlanglief, könnte er sie doch eigentlich auch noch dorthin mitnehmen. Sie streckte sich nach der Autokarte, die auf dem Rücksitz lag. Und dann könnte er sie (ja, warum nicht?) etwa in Viareggio aussteigen lassen, oder, noch besser, in La Spezia.
Von dort sollte es doch auch irgendwelche Möglichkeiten geben, nach Wien zurückzufahren. Okay, vielleicht müsste sie mehrere Male umsteigen. Und gewiss müsste sie wegen des kleinen Umwegs, den das bedeutete, etwas aufzahlen. Aber so schlimm konnte das nicht sein, das würde sie sich noch leisten.
Marco machte sie darauf aufmerksam, dass das kein
kleiner
Umweg sei, sondern ein
großer
. Und dass es mit den Zugverbindungen in Italien nicht ganz so einfach sei, wie sie sich das vorstelle. Und wenn schon, sagte sie, sie würde die Strecke an der ligurischen Küste, die ja schön sein sollte, gern kennenlernen. Und vielleicht könnten sie ja in den Stunden bis La Spezia (oder warum nicht gleich bis Genua?) ihr etwas abrupt abgebrochenes Fantasiespiel über Molly und Mortimer noch etwas weiterspielen.
Marco schien nachzudenken. Vielleicht wäre er ja auf ihren Vorschlag eingegangen. Aber er überlegte ein paar Sekunden zu lang. In dieser Zeit wurde ihr klar, dass ihr Verhalten ihm gegenüber taktisch unklug war. Es widersprach allen guten Ratschlägen ihrer Freundinnen, die sie nun bald wieder treffen würde.
Er setzte gerade dazu an, etwas zu sagen, aber sie kam ihm zuvor.
Vielleicht habe er ja Recht, vielleicht seien der Umweg und der Aufwand doch zu groß. Sie warf die Karte auf den Rücksitz zurück. Wahrscheinlich sei es doch vernünftiger, wenn sie in Florenz in den Zug steige.
Drei
1
Zurück in Wien, traf Julia ihre Freundinnen, die sie in Siena verlassen hatte. Das war im
Votiv-Espresso
, hinter der Uni. Der Universitätsbetrieb begann zwar erst im Oktober wieder. Doch dieses Espresso war ein Lokal, in dem sie auch außerhalb der Studienmonate gern saßen.
Es war ein recht schöner Tag, Anfang September, aber die drei saßen im Inneren des Lokals. Sie hätten auch draußen unter den Arkaden sitzen können, doch Julia, die erst so kurz wieder aus Italien zurück war, fand es draußen zu kühl. Die Freundinnen löffelten Eis aus hohen, versilberten Bechern. Julia hingegen hatte keine Lust auf Eis und hatte, weil ihr nichts anderes eingefallen war, eine Tasse Pfefferminztee bestellt.
Die zwei schauten erwartungsvoll, Susanne mit etwas hochgerecktem Kinn, Marianne mit großen, runden Augen.
Na, wie war’s?, fragte Susanne.
Du hast es ja verdächtig lang mit diesem Typ ausgehalten, sagte Marianne.
Ja, es war schön mit ihm, sagte Julia. Aber auf Details, die ihre Freundinnen interessiert hätten, wollte sie sich nicht einlassen.
Sie rührte in ihrer Teetasse, was ein erstaunlich vernehmliches Geräusch verursachte.
Du bist fad, sagte Marianne.
Du bist gemein, sagte Susanne.
War’s das jetzt, fragte Marianne, oder wirst du ihn wieder treffen?
Ich weiß nicht, sagte Julia. Und sie wusste es ja wirklich
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