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Mortimer & Miss Molly

Mortimer & Miss Molly

Titel: Mortimer & Miss Molly Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Heinisch
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die Stunden zwischen zwölf und zwei. Sie saßen im Hotelzimmer, tranken den schlechten Whisky und dann den ebenso schlechten Wodka aus der Minibar und fürchteten sich vor dem Abschied.
    Dass ich es nicht vergesse!, sagte Marco und gab ihr das Kuvert mit den Fotos.
    Und sie nahm die Fotos heraus, das eine, das er unten auf dem flachen, heißen Stein geschossen hatte, und das andere, auf dem sie beide vor der Porta Pellegrini zu sehen waren, und sagte: Ja, dort müssen wir wieder hin.
    Um halb drei fuhren sie mit dem Taxi zum Bahnhof. Zwar hatte Marco gemeint, es sei doch angenehmer für Julia, im Zimmer zu bleiben, von ihm sanft geküsst zu schlafen und hoffentlich wenigstens schön zu träumen, aber sie bestand darauf, ihn zu begleiten. Sein Zug kam, sie umklammerten einander noch einmal, aber dann musste er wirklich einsteigen. Und dann fuhr der Zug, Julia sah Marco noch kurz an einem der Fenster, das sich offenbar nicht leicht öffnen ließ, aber dann war er weg, und sie ging zu Fuß zurück zum Hotel.
17
    Wieder in Wien, hatte Julia sofort das Bedürfnis, Marco zu schreiben. Doch es war schwer, die richtigen Worte zu finden. Sie verbrauchte viele Bögen Briefpapier, die sie zerriss und in den Papierkorb warf. Schließlich zeichnete sie zwei Strichmännchen (ein Strich
männchen
und ein Strich
weibchen
, erkennbar an dezent angedeuteten Geschlechtsmerkmalen), die einander mit dünnen Ärmchen umfassten. Über den Köpfen der beiden hing eine dunkel gestrichelte Wolke. Aber aus der Wolke hervor kam eine etwas schief lächelnde Sonne. Und das war etwa das, was sie sagen wollte.
Malgrado tutto
, schrieb sie dazu, trotz allem.
    Dass sie ihre Gefühle durch eine Zeichnung artikulierte, ist bemerkenswert. Als Kind hatte sie ihre Puppe Nora zu porträtieren versucht, aber als sie das Porträt ihrem Vater gezeigt hatte, hatte der nur gelacht. Mach dir nichts draus, hatte er gesagt, ich habe auch nie zeichnen können. Julias Vater. Schuldirektor in Krems an der Donau. Offenbar ein begnadeter Pädagoge.
    Marco antwortete seinerseits mit einer Zeichnung. Er konnte besser zeichnen als sie, aber er ließ sich auf ihren Stil ein. Strichmännchen und Strichweibchen (bei ihm waren die Geschlechtsmerkmale etwas ausgeprägter). Die beiden lagen auf einer durch ein paar Grasbüschel angedeuteten Wiese, auf der die Blumen blühten.
18
    Dessen ungeachtet wurde es immer herbstlicher. Julia fand, das gehe nun einfach zu schnell. Im Prater standen die Bäume von Tag zu Tag kahler. Und die Kastanien, die noch vor kurzem so appellierend geglänzt hatten, verfaulten in dreckigen Pfützen.
    Nur schwer gewöhnte sie sich an die zunehmende Dunkelheit. Gewiss lag das Gefühl, dass diese Dunkelheit nun buchstäblich über sie hereinbrach, auch an der Zeitumstellung. In Österreich hatte man die Sommerzeit erst im vorangegangenen Jahr eingeführt. Aber da hatte sie die herbstliche Rückkehr auf den Boden der chronometrischen Wirklichkeit nicht so krass erlebt.
    Damals hatte sie sich dazu überreden lassen, Ferien im eigenen Land zu machen. Auf einem von Studienkollegen adaptierten Bauernhof im Waldviertel. Zweifellos eine schöne Gegend, die in der so genannten Alternativszene immer mehr in Mode kam. Aber eine Gegend, in der es, wenn es einmal zu regnen begann, nicht mehr so leicht aufhörte.
    Nach dem verregneten Sommer dort oben war ihr der hässliche Herbst in Wien kaum mehr aufgefallen. Heuer aber gab es den Kontrast zu einem Sommer, von dem sie immer noch träumte. In diesen Träumen lag sie mit Marco auf dem flachen Stein im Fluss in der Sonne oder saß bei Pietro und Bruna im Schatten des Schildkrötengartens. Wenn sie aufwachte, kam ihr die Dunkelheit eines Spätoktobermorgens in der Kleinen Mohrengasse im zweiten Wiener Bezirk noch trister vor.
    Lieber Marco, schrieb sie, ich weiß, in Italien habt ihr die Sommerzeit schon längst. Aber ich könnte mir vorstellen, dass bei euren doch angenehmeren Wetterverhältnissen die Umstellung auf die Normalzeit keine ganz so traurige Zäsur ist.
    Tanto è vero
, schrieb Marco. So viel sei schon wahr. In Italien würden die Tage im Oktober und November zwar auch nicht länger, aber es gebe immer noch schöne Sonnentage.
    Jedenfalls in Turin: An klaren Tagen sehe man durch manche Straßen der Stadt direkt auf die Alpen. Doch leider sei er jetzt wenig in Turin. Und Alessandria neige eher zum Nebel. Aber im Krankenhaus bringe er ohnehin den ganzen Tag unter Neonlicht zu.
    Kein schönes Licht – er

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