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Mortimer & Miss Molly

Mortimer & Miss Molly

Titel: Mortimer & Miss Molly Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Heinisch
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packte es ihn mit noch größerer Vehemenz. Er war im Spital. Er hatte Nachtdienst. Und er bildete sich ein, Julia zu spüren. Das war eine fixe Idee, ein Floh, den sie ihm ins Ohr gesetzt hatte. Dass sie einander spürten, wenn sie sehr intensiv aneinander dachten.
    Telepathie? Ja, sagte sie. Wenn du es so nennen willst. Sie glaube fest, dass so etwas möglich sei. Dass Menschen einander spürten, die einander sehr nahestehen. Wenn sie intensiv aneinander dachten oder auch unwillkürlich, aus einer mit psychoenergetischer Spannung aufgeladenen Situation heraus, aneinander denken mussten.
    Ihr Professor (ja, genau, der alte Trottel, der sie nun nicht ins Dissertantenseminar habe aufnehmen wollen), dieser Professor habe zwar behauptet, so etwas sei unmöglich, weil die Gehirnströme nur wenige Zentimeter über die Schädeldecke hinaus wirkten. Aber sie glaube, dass fast alle halbwegs sensiblen Menschen solche Erfahrungen haben.
    Da musste ihr Marco Recht geben. Ihm widerfuhr das vor allem mit seiner Mutter. Doch davon hatte er Julia lieber nicht zu viel erzählt.
    Jetzt machte er jedenfalls solche Erfahrungen mit ihr. Und er fragte sich, was in diesem Fall die mit psychoenergetischer Spannung aufgeladene Situation sein könnte. Dazu fiel ihm tatsächlich Verschiedenes ein. Und dann hielt er es nicht mehr aus, er musste wissen, was los war.
    Er hatte Nachtdienst, aber es war zum Glück ein ruhiger Abend. Es ging auf halb elf, die Patienten auf seiner Abteilung waren alle versorgt und schliefen. Ich muss nur kurz telefonieren, sagte er zu Schwester Laura. Meiner Mutter geht es nicht gut, ich bin gleich wieder da.
    Und schlüpfte in seinen Mantel und entwich aus einem Nebenausgang des Spitals. Und lief über die Piazza in die nächste Bar, in der es einen Telefonautomaten gab. Im Fernsehen lief ein spätes Fußballmatch. Als Marco eintrat, war gerade ein Tor gefallen, das wegen angeblicher Abseitsstellung nicht gegeben wurde.
    Große Aufregung. Die Zuseher in der Bar brauchten eine Weile, bis sie sich beruhigt hatten. Auch der Mann an der Theke war durch die Meinungsverschiedenheit, die darüber ausgebrochen war, okkupiert. Er war fürs Erste einfach nicht ansprechbar. Doch Marco brauchte ihn, das Telefon in dieser Bar funktionierte nur mit Jetons.
    Endlich hatte er einen Zehntausendlireschein in Jetons gewechselt und stand in der Telefonnische. Warf vorerst drei Jetons ein, wählte die Vorwahl für Österreich und dann Julias Nummer. Und wartete. Und hörte das Klingelzeichen. Und zählte, wie oft er es hörte. Und hörte es zwölf Mal.
    Sie war also anscheinend wieder nicht daheim. Und das war ja ihr gutes Recht und hatte vielleicht wieder nichts zu bedeuten. Aber im letzten Moment, just als Marco den Hörer einhängen wollte, wurde doch noch abgehoben. Julias Stimme klang etwas atemlos: Ja, sagte sie, sie sei gerade zur Tür hereingekommen.
    Das sei aber schön, dass er gerade jetzt anrufe! Sie habe heut Abend sehr viel an ihn gedacht. Sie sei nämlich im Kino gewesen. Im
Stadtkino
gebe es eine italienische Filmwoche. Darauf habe man die Kursteilnehmer im Kulturinstitut extra aufmerksam gemacht.
    Aha, sagte Marco. Und was hast du gesehen?
    I soliti ignoti
, sagte sie.
Die üblichen Verdächtigen
. Mit Vittorio Gassman in der Rolle des etwas beschränkten Boxers. Ein Film, den du sicher kennst. Wir haben sehr gelacht.
    Wir.
    Ja, klar, sagte sie. Wir waren fast geschlossen dort ... Der ganze Kurs ... Ja, natürlich auch Fulvio ... Er ist doch der Kursleiter ... Bist du noch dran?, fragte Julia.
    Ja, sagte er. Ich bin noch dran.
    Komisch, sagte sie. Du warst auf einmal so gut wie weg.
    Vielleicht war die Verbindung einen Moment lang gestört, sagte er.
    Wo bist du überhaupt?, fragte sie. Es hört sich so laut an im Hintergrund.
    Ich bin in einer Bar, sagte er. Aber eigentlich habe ich Nachtdienst.
    Hast du Pause?, fragte sie.
    Nein, sagte er. Es gibt keine Pause im Nachtdienst.
    Es ist nur ... Es war nur ... Ich habe plötzlich große Sehnsucht nach dir gehabt ... Jetzt muss ich aber Schluss machen ... Ich habe auch kaum mehr Jetons ...
Ti voglio bene
, sagte er, und dann wollte er noch etwas sagen.
    Aber nun riss die Gesprächsverbindung wirklich ab.
21
    Zurück ins Spital lief er mit von Schritt zu Schritt zunehmender Angst. Wer weiß, was dort inzwischen alles passiert war! In seiner Fantasie liefen auf diesen zwei- oder dreihundert Metern katastrophale Szenarien ab. Er sah eine Reihe von Patienten oder Patientinnen

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