Mortimer & Miss Molly
Paarungslaufen. Noch im Lift, der sie in den zweiten Stock brachte, scherzten sie darüber. Ein Paarungslauf ist ein Lauf, bei dem die beiden, die gewinnen, gleich anschließend miteinander ins Bett hüpfen. Und genau das wollten sie tun. Aber sie hüpften nicht, sondern ließen sich fallen. Und dann spürten sie die Gravitation nur mehr als Schwerkraft.
Sie fingen zwar an, miteinander lieb zu sein. Aber selbst die Hände, mit denen sie einander streichelten, wurden schwer. Und die Köpfe waren ohnehin schwer. Und nur mehr ganz am Rande ihres Bewusstseins bekamen sie mit, dass sie einschliefen.
15
Als sie ins Bett gefallen waren, musste es gegen drei Uhr Nachmittag gewesen sein. Die Sonne hatte ins Zimmer gelächelt, und sie hatten die Vorhänge zugezogen. Als Julia dann erwachte, schob sie die Vorhänge wieder zurück. Die Sonne war weg. Hatte sich der Himmel so rasch bewölkt?
Wie spät war es denn? Julia suchte nach ihrer Uhr. Barfuß und nackt, wie sie war. Sie hatten zuvor alles irgendwo abgeworfen. Ihre Sachen lagen im Zimmer verstreut. Beinahe hätte sie die Uhr (eine Tissot, die sie sehr mochte) zertreten.
Wie spät also war es? Die Tissot zeigte zehn vor sieben. Das konnte nicht stimmen! Nein, das war doch nicht möglich! Marco schlief noch, halb abgedeckt, hübsch anzusehen. Es tat ihr leid, aber sie musste ihn jetzt wachrütteln.
Marco, fragte sie, wo ist deine Uhr?
Er war noch schlaftrunken. Wozu sie seine Uhr brauche?
Meine Uhr spielt verrückt, sagte sie. Wie spät ist es bei dir?
Bei ihm war es auf die Minute so spät wie bei ihr.
Das durfte nicht wahr sein! Hieß das, dass sie fast die Hälfte des Tages, der ihnen zur Verfügung stand, verschlafen hatten? Ja. Es sah ganz so aus, als ob es das hieße.
Julia setzte sich an den Bettrand. Es war nicht leicht, sich mit dieser Tatsache abzufinden.
Aber, sagte sie schließlich, und damit wollte sie sich selbst und Marco aufmuntern, wir haben ja noch die ganze Nacht!
Però
..., sagte er. Aber ...
Sie legte ihren Arm um ihn.
Was
aber?
Wir haben leider
nicht
die ganze Nacht.
Sie zog ihren Arm zurück. Was sollte das heißen?
Mein Zug ..., sagte er. Mein Zug fährt kurz nach drei Uhr früh.
Nein!, sagte sie.
Doch, sagte er. Er habe ja morgen wieder Tagdienst.
Er hob und senkte die Schultern. Was soll ich denn machen?
Er müsse pünktlich im Krankenhaus sein. Das schaffe er ohnehin nur mit Hängen und Würgen. Vorausgesetzt, dass der Zug pünktlich in Alessandria ankomme und dass das Taxi, das er dann nehmen müsse, nicht im Morgenverkehr stecken bleibe.
16
Der Abend war dann nicht mehr wirklich zu retten. Sie versuchten ihn trotzdem so heiter wie möglich zu verbringen und sich ihre Traurigkeit nicht anmerken zu lassen. Sie schlenderten durch die Gassen, in einem kleinen, aber feinen Schmuckladen kaufte Marco Julia ein hübsches Armband mit Türkisen. In einem auf einem Hügel gelegenen Restaurant, durch dessen Panoramafenster man auf den Fluss und die Stadt sah, aßen sie noch einmal sehr gepflegt, aber sie schmeckten kaum, was sie aßen.
Marco gab für seine damaligen Verhältnisse viel Geld aus. Und wollte auf keinen Fall, dass Julia ihren Teil zur Begleichung der Rechnung beitrug. Was das betraf, so benahm er sich eindeutig bürgerlich. Aber es war nicht der richtige Moment, ihm das zu sagen.
Die Stunden, die dann noch vor ihnen lagen, empfanden sie einerseits als zu kurz und anderseits als zu lang. Es wurde elf, es wurde zwölf, sie hörten jedes Mal die Glocken läuten. Julia erzählte Marco die Szene mit den Glühwürmchen, und er fand sie wunderschön. Aber unter diesen Umständen gelang es ihnen nicht, daran anzuknüpfen.
Sie trieben sich noch auf der Piazza delle Erbe herum, wo sie einander so fröhlich getroffen hatten. Derselbe Platz, allerdings ohne den stimmungsvollen Markt. Und was für ein Unterschied in
ihrer
Stimmung! Als sie einander vormittags umarmt hatten, war es die reine Freude gewesen, wenn sie einander jetzt umarmten, hatten sie das Gefühl, als versuchten sie vergebens, einander festzuhalten.
Natürlich kam ihnen auch der Gedanke, jetzt trotzdem noch miteinander zu schlafen. Warum gingen sie nicht einfach ins Hotel zurück und legten sich noch einmal ins Bett? Aber sie waren beide nicht ganz überzeugt von dieser Idee. Wahrscheinlich würde das Bewusstsein, dass sie so bald danach wieder aufstehen müssten, die Lust, die sie aneinander und miteinander haben wollten, schon von Anfang an verderben.
Schließlich
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