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Mortimer & Miss Molly

Mortimer & Miss Molly

Titel: Mortimer & Miss Molly Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Heinisch
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bekam.
13
    Das Hotel sah hübsch aus, ein schmales Haus mit winzigen Balkönchen, aber das Zimmer, das Marco telefonisch bestellt hatte, war noch nicht frei. Die Gäste, die vergangene Nacht hier geschlafen hatten, waren anscheinend noch beim Packen, und danach mussten die Zimmerfrauen noch aktiv werden.
Va bene
, sagte Marco, dann lassen wir inzwischen unsere Reisetaschen hier und gehen noch eine kleine Runde durch die Stadt. Und dann gingen sie wirklich ein paar Schritte, aber als sie zum Fluss kamen und die Brücke überquert hatten, den schönen, alten Ponte Vecchio, entdeckten sie eine Treppe, die ans Ufer hinabführte. Sie stiegen hinunter und setzten sich hin und hatten gar kein Bedürfnis, noch weiter zu gehen.
    Und tatsächlich war das einer der schönsten Plätze, die sie hätten finden können. Der Fluss, die Brücke, das Stadttor, was für ein Blick! Hinter ihnen die Böschung, eine schräge, mit Graffiti bemalte Mauer, an die sie sich lehnten und sinken ließen. Und der Himmel war sehr blau, und ganz hoch oben flogen Schwärme von Schwalben.
    Es war jetzt ein schöner, recht warmer Frühherbsttag. Und niemand da außer ihnen, zumindest hatten sie diesen Eindruck. Und da konnten sie doch gar nicht anders, als miteinander zärtlich zu sein. Und mehr als zärtlich. Fünf oder sechs Wochen hatten sie einander entbehrt.
    Und sie entledigten sich einiger hinderlicher Kleidungsstücke. Und deckten sich einfach mit Marcos Windjacke zu.
    Sieht man uns nicht doch, von der Brücke aus?
    Aber nein, man sieht uns nicht. Und wenn uns doch einer sieht, irgendein armer Voyeur mit Feldstecher, dann soll er auch seine Freude haben und denken, das sind zwei, zwischen denen eine starke Gravitation wirkt, und das ist doch was Schönes, dazu sind sie zu beglückwünschen,
tanti auguri
!
    Und dann waren sie wirklich drauf und dran, miteinander zu schlafen. Aber leider waren sie da unten doch nicht so allein, wie sie geglaubt hatten. Denn da kam jemand – sie sahen ihn vorerst nicht, sondern hörten nur seine Schritte. Und das offenbar zu spät, denn jetzt war er auch schon da und schaute auf sie hinunter.
    Schaute auf sie hinunter und lachte dreckig. Sagte nicht
tanti auguri
, das fiel ihm nicht ein. Beglückwünschte sie nicht, sondern sagte irgendetwas Zotiges. Und ging weiter flussabwärts, ein älterer Mann mit Angel.
    Und sie zogen wieder an, was sie abgelegt hatten, zugegeben ziemlich verstört.
Madonna di lupo,
fluchte Marco,
che stronzo!
Was hat der jetzt hier zu suchen, ich bitte dich! Wer geht denn um diese Stunde, zu Mittag, fischen?!
    Was hat er gesagt?, fragte Julia.
    Ich habe es nicht verstanden, sagte Marco.
    Julia glaubte ihm nicht. War da nicht irgendein Vergleich mit Hunden? Ich weiß nicht, log Marco, vergiss es, es ist nicht der Rede wert. Aber er vibrierte vor Zorn, hob einen Stein auf und warf ihn hinter dem Angler her.
14
    Sie gingen dann noch eine Weile, um sich zu beruhigen. Marco legte ein wütendes Tempo vor. Julia kam kaum mit. Sie fasste ihn am Arm. Jetzt lass aber gut sein, sagte sie. Wir wollen an was anderes denken.
    Stell dir vor!, sagte sie, ich habe im Zug etwas über Molly und Mortimer notiert. Wie sie sich in die Büsche schlagen oder zuerst einmal in die Felder. Und da hab ich eine Szene ganz deutlich vor mir gesehen. Wenn du willst, kann ich sie dir nachher vorlesen.
    Ja, sagte Marco. Natürlich wollte er. Gern! Aber in Gedanken war er anscheinend noch immer nicht ganz da.
    Sie hakte sich bei ihm unter. Ich habe Hunger, sagte sie. Du nicht?
    Eigentlich doch, sagte er.
    Also suchten sie ein Lokal.
    Und fanden ein nettes. Mit Gartenterrasse zum Fluss. Das Sonnenlicht glitzerte sehr fotogen auf dem Wasser. Und Marco bedauerte, dass er die Kamera nicht dabeihatte. Aber die hatte er in Turin und nicht in seinem Zimmer in Alessandria.
    Und das Essen war fein. Und der Wein war gut. Da kamen sie beide wieder in Stimmung. Sie würden jetzt ins Hotel gehen und dort hoffentlich ein schönes, frisch gemachtes Bett vorfinden. Und erneut spürten sie den Magnetismus, der zwischen ihnen wirkte.
    Und nach dem Dessert hatten sie es dann schon ziemlich eilig, die Rechnung zu bekommen. Und tranken den
digestivo
, den ihnen der freundliche Kellner noch brachte, nicht mit der angemessenen Muße. Und dann liefen sie sogar einen Teil der Strecke bis zum Hotel. Und als sie dort ankamen, fielen sie sich lachend in die Arme, so als hätten sie bei irgendeinem Leichtathletikwettbewerb gewonnen.
    Paarlaufen.

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