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Mortlock

Mortlock

Titel: Mortlock Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jon Mayhew
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herumstanden. Das Haus stand ein wenig erhöht und bot einen weiten Blick über die Marsch. Das Meer dahinter war von dunkelroten Punkten durchsetzt, den Segeln der Frachtkähne, die die Themse hinuntergefahren waren und nun an der Küste ihren Handel trieben. Josie erinnerte sich, dass sie sie einmal im Hafen gesehen hatte. Doch London war jetzt weit weg. Eine bröckelnde Steinmauer markierte die Grenze des Anwesens, von der eine von Schlaglöchern durchzogene Zufahrt zum Haus führte.
    Auf dem Grundstück wuchsen kaum Pflanzen. Dafür hockten zahllose Krähen, Raben, Dohlen und Elstern auf den Simsen und Dächern der Nebengebäude, die sich in der morgendlichen Kälte krächzend und schimpfend aneinanderdrückten. Sämtliche Oberflächen und sogar die Mauern waren mit weißen Klecksen überzogen. Josie verzog das Gesicht und suchte dann die Stelle, wo am Abend das Licht zu sehen gewesen war. Doch der Horizont war grau und leer.
    Sie humpelte zur Tür und drückte die Klinke herunter. Draußen war immer noch der Riegel vorgeschoben. Josie fluchte leise. Sie hatte nicht vor zu fliehen – dazu fühlte sie sich noch nicht in der Lage –, aber sie musste zu Alfie, um sich zu vergewissern, dass es ihm gut ging. Als Arabella schließlich kam, um ihr das Frühstück zu bringen, freute Josie sich, sie zu sehen, und setzte sich im Bett auf, obwohl jede Bewegung ihr noch immer wehtat.
    Doch Arabella sah blass und verhärmt aus.
    »Hier ist dein Frühstück«, sagte sie und stellte das Tablett ab. Josie schaute sie fragend an. Wo war das lächelnde Mädchen von gestern? Sie sah aus wie eine gejagte Maus, die Schultern hochgezogen, den Kopf zur Seite geneigt und den Blick zu Boden gerichtet.
    »Kann ich heute zu Alfie?«
    »Ich weiß nicht.« Arabella trat einen Schritt zurück und wies unauffällig mit dem Blick zur Tür. Josie krampfte sich der Magen zusammen.
    Tante Mag stand im Türrahmen, die Hände vor dem Bauch gefaltet und ein triumphierendes Funkeln in den dunklen Augen. Dann kam sie ins Zimmer.
    »Ich hoffe, du hast es bequem, Josie Chrimes«, zischte sie mit einem Grinsen, das ihre gelb verfärbten Zähne entblößte.»Aber gewöhn dich lieber gar nicht erst daran. Im Moment interessiert sich Lord Corvis für euch beide, aber was er wirklich will, ist die Amarant. Komm mit.«
    Hinter Tante Mag erblickte Josie plötzlich Alfies bleiches Gesicht, das von einer bläulich schimmernden Wunde durchzogen war. Als er sie sah, weiteten sich seine Augen. Josie sprang auf, dass das Tablett krachend zu Boden fiel. »Alfie«, rief sie, humpelte zur Tür und umarmte ihn, ohne Tante Mags spöttische Miene zu beachten.
    »Au!«, stöhnte Alfie. »Pass doch auf!«
    Josie ließ ihn los, und ihr Lächeln erstarb. »Du siehst furchtbar aus.«
    Es stimmte, der tiefe Riss in seiner Wange konnte einem geradezu Angst einjagen. Alfie schwankte ein wenig und lächelte schwach.
    »Danke, du siehst aber auch nicht gerade aus wie das blühende Leben«, entgegnete er und griff nach ihrer Schulter, um nicht umzukippen. Er sah aus wie ein Greis, so schwach und farblos.
    »Genug jetzt! Lord Corvis wartet«, sagte Tante Mag barsch. Sie führte sie durch staubige Flure, vorbei an geschlossenen Fensterläden, die das Haus stockdunkel machten. Nur Tante Mags Petroleumlampe warf einen schwachen Lichtschein.
    »Das ist ja wie in einem Mausoleum«, flüsterte Alfie. Ab und zu fiel das Licht auf ein altes Ölgemälde oder eine verrostete Rüstung.
    »Hier müsste mal wieder richtig sauber gemacht werden«, erwiderte Josie leise. Auf glanzlosen, staubbedeckten Tischen standen Vasen mit vertrockneten Blumen, die ihrerseits von dicken Spinnweben bedeckt waren. »Onkel hat es mit derHausarbeit ja nicht allzu streng genommen, aber zumindest war es in Bluebell Terrace immer sauber.«
    »Die Dekoration ist auch nicht jedermanns Sache«, murmelte Alfie. Immer wieder tauchten furchteinflößende Statuen und Schnitzereien aus der Dunkelheit auf: alte, vielarmige Götter mit Stoßzähnen und grimmig verzerrten Mienen, den Speer wie zum Wurf erhoben.
    »Scheußlich«, sagte Josie.
    Schließlich stieß Tante Mag eine große, zweiflügelige Tür auf, und dort, am Ende eines langen, polierten Tisches saß Lord Corvis. Tante Mag stellte sich neben ihn und richtete ihren kalten stählernen Blick auf Josie. Das Mädchen ergriff Alfies Hand und drückte sie leicht. Seine Haut fühlte sich klamm an. Er erwiderte den Händedruck.
    »Willkommen«, sagte Lord Corvis. Noch nie

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