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Morton, Kate

Morton, Kate

Titel: Morton, Kate Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die fernen Stunden
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Hand und zog mich so ruppig, dass mir die Schulter wehtat, von dem
Tor weg und über die Straße zu unserem Auto. Vage roch ich ihr Parfüm, das sich
mit der warmen Luft, mit den ungewohnten Landgerüchen mischte. Sie ließ den
Motor an, und wir fuhren los. Ich beobachtete gerade zwei Spatzen durch das Seitenfenster,
als ich es hörte. Es war der kehlige Schluchzer, der gleiche kehlige
Schluchzer, den sie ausgestoßen hatte, als der Brief von Juniper Blythe
eintraf.
     
    Die Bücher und die Birds
     
     Das Tor zum Schloss war verriegelt und viel zu hoch,
um hinüberzuklettern - nicht dass ich es versucht hätte, wenn es niedriger
gewesen wäre. Ich bin schon immer ziemlich unsportlich gewesen, und jetzt,
nachdem die Erinnerung zurückgekehrt war, hatte ich Pudding in den Knien. Ich
fühlte mich sonderbar verloren und hilflos. Ich ging zu meinem Wagen zurück
und saß eine Weile da und überlegte, wie ich weiter vorgehen sollte. Viele
Möglichkeiten hatte ich nicht. Ich war viel zu aufgewühlt, um Auto zu fahren,
erst recht die lange Strecke bis London, und so ließ ich schließlich den Motor
an und fuhr im Schritttempo ins Dorf Milderhurst.
     
    Auf den
ersten Blick sah es genauso aus wie all die anderen Dörfer, durch die ich an
dem Tag gekommen war: eine einzige Straße mit einem kleinen Rasenplatz am Ende,
daneben eine Kirche und gegenüber eine Schule. Als ich vor dem Gemeindehaus
parkte, sah ich plötzlich all die müden Londoner Schulkinder vor mir,
rußverschmiert nach der endlosen Zugfahrt Richtung Osten. Ein geisterhaftes
Bild von meiner Mutter, vor vielen Jahren, lange, bevor sie meine Mutter wurde,
wie sie sich mit den anderen Kindern in Reih und Glied aufstellt und auf eine
ungewisse Zukunft wartet.
    Ich schlenderte die Hauptstraße
entlang und versuchte vergeblich, meine aufgescheuchten Gedanken im Zaum zu
halten. Also gut, meine Mutter war noch einmal nach Milderhurst zurückgekommen,
und ich war bei ihr gewesen. Wir hatten vor dem großen Tor gestanden, und sie
war völlig durcheinander gewesen. Ich konnte mich wieder daran erinnern. Es war
passiert. Aber mit der einen Antwort, die ich gefunden hatte, waren nur
lauter neue Fragen aufgetaucht und schwirrten um meinen Kopf wie Motten ums
Licht. Warum waren wir hier gewesen? Warum hatte sie geweint? Was hatte sie
gemeint, als sie zu mir gesagt hatte, sie habe einen Fehler gemacht, es sei zu
spät? Und warum hatte sie mich vor drei Monaten angelogen, als sie gesagt
hatte, der Brief von Juniper Blythe habe keine Bedeutung?
    Die Fragen
kreisten noch in meinem Kopf, als ich mich unverhofft vor der offenen Tür
eines Buchladens wiederfand. Ich glaube, es ist etwas ganz Natürliches, dass
man sich in Zeiten großer Verwirrung dem Vertrauten zuwendet. Die hohen Regale
und die zahllosen säuberlich aufgereihten Buchrücken übten eine ungemein
beruhigende Wirkung auf mich aus. Umgeben von dem Geruch nach Druckerschwärze
und Leim, den Staubflöckchen, die im streifigen Sonnenlicht tanzten, der
warmen, stillen Luft, konnte ich wieder freier atmen. Ich spürte, wie mein Puls
sich beruhigte und meine Gedanken die Flügel anlegten. Es war schummrig in dem
Laden, was mir nur recht war. Ich suchte nach meinen Lieblingsautoren wie eine
Lehrerin, die ihre Schüler aufruft. Brome - alle drei anwesend, Dickens - anwesend,
Shelley - mehrere hübsche Ausgaben. Ich brauchte sie gar nicht aus dem Regal zu
nehmen, um zu wissen, dass sie da waren; sie leicht mit den Fingern zu berühren
reichte mir.
    Ich ging
an den Regalen vorbei, las die Titel auf den Buchrücken, stellte hier und da
ein Buch, das an den falschen Platz geraten war, wieder richtig zurück, bis
ich in den hinteren Teil des Ladens gelangte, der nicht mit Regalen vollgestellt
war. Auf einem Tisch in der Mitte stand ein Schild mit der Aufschrift:
»Heimatgeschichten«. Daneben stapelten sich Heimatkundebücher, Bildbände und
Bücher von Autoren aus der Gegend. Geschichten von
Mordbrennern, Landfahrern, Vagabunden; Die Abenteuer der Schmuggler von
Hawkhurst; Eine kleine Geschichte des Hopfenanbaus. In der
Mitte, auf einem hölzernen Ständer, entdeckte ich einen Titel, der mir vertraut
war: Die wahre Geschichte vom Modermann.
    »Ach!«,
rief ich, nahm es vom Tisch und drückte es an mich.
    »Mögen Sie
die Geschichte?« Wie aus dem Nichts war die Verkäuferin aufgetaucht und
schüttelte ihr Staubtuch aus.
    »Ja«,
sagte ich. »Natürlich. Wer mag sie nicht?«
    Als ich Die wahre Geschichte vom Modermann zum ersten

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