Morton, Kate
Cavill.«
Ich bekam
tatsächlich eine Gänsehaut und klammerte mich an die Bettkante.
»So hieß
mein Lieblingslehrer«, fuhr sie fort. »Thomas Cavill. Sie hatten sich verlobt,
weißt du, und danach habe ich nie wieder etwas von den beiden gehört.«
»Bis der
verschwundene Brief von Juniper gekommen ist.«
Als ich
den Brief erwähnte, zuckte sie zusammen. »Ja«, sagte sie.
»Der dich
zum Weinen gebracht hat.«
»Ja.«
Einen Moment lang dachte ich, sie würde auch jetzt wieder weinen. »Aber nicht,
weil er traurig war, es war nicht der Brief selbst, der mich zum Weinen
gebracht hat. Es waren all die Jahre, die er verschollen war. Ich dachte, sie
hätte mich vergessen.«
»Ich
verstehe.«
Ihre
Lippen zitterten. »Ich dachte, sie hätten geheiratet und mich ganz vergessen.«
»Aber das
hatten sie nicht.« »Nein.«
»Sie haben
gar nicht geheiratet.«
»Nein,
aber das wusste ich ja nicht. Das weiß ich erst von dir.
Ich wusste
nur, dass ich nie wieder von ihnen gehört hatte. Ich hatte Juniper etwas
geschickt, weißt du, etwas, das mir sehr viel bedeutet hat, und ich habe immer
darauf gewartet, dass sie sich meldete. Ich habe gewartet und gewartet und
zweimal täglich in den Briefkasten geschaut, aber es kam einfach nichts.«
»Hast du
ihr noch einmal geschrieben? Um dich zu erkundigen, ob sie dein Geschenk
bekommen hatte?«
»Ein
paarmal war ich drauf und dran, aber es kam mir so kläglich vor. Dann habe ich
im Lebensmittelladen zufällig eine von Mr. Cavills Schwestern getroffen, und
die hat mir erzählt, er sei mit einer anderen Frau durchgebrannt, ohne seiner
Familie davon zu erzählen.«
»Ach, Mum,
das tut mir so leid.«
Sie legte
ihr Buch neben sich auf die Decke und sagte leise: »Von da an habe ich sie
beide gehasst. Ich habe mich so verletzt gefühlt. Hass ist wie ein
Krebsgeschwür, Edie. Es frisst einen auf.« Ich rückte näher an sie heran und
nahm ihre Hand. Sie hielt meine Hand ganz fest, und ich sah, dass ihr Tränen
über die Wangen liefen. »Ich habe sie gehasst und geliebt, und es hat so
wehgetan.« Sie zog einen Brief aus der Tasche ihres Morgenmantels. »Und dann
das. Fünfzig Jahre später.«
Es war
Junipers verloren gegangener Brief. Ich nahm ihn entgegen, unfähig, ein Wort zu
sagen, unsicher, ob sie wollte, dass ich ihn las. Aber sie schaute mich an und
nickte.
Mit
zitternden Fingern nahm ich den Brief aus dem Umschlag und las.
Meine
liebste Merry,
mein
kluges kleines Huhn! Deine Geschichte ist heil hier angekommen, und sie hat
mich zu Tränen gerührt. Was für eine großartige Geschichte! Fröhlich und
schrecklich traurig und, ach, so wunderbar beobachtet. Was für ein kluges
Köpfchen Du bist! Du schreibst so ehrlich, Merry, mit einer Wahrhaftigkeit, die
viele anstreben, aber nur wenige erreichen. Du musst weitermachen, es gibt
keinen Grund für Dich, nicht genau das aus Deinem Leben zu machen, was Du
möchtest. Nichts hält Dich zurück, meine kleine Freundin.
Wie gern
hätte ich Dir das alles persönlich gesagt, Dir Dein Manuskript unter dem Baum
im Park zurückgegeben, in dessen Laub das Sonnenlicht wie kleine Diamanten
glitzert, aber ich muss Dir leider mitteilen, dass ich nicht wie geplant nach
London fahren werde. Jedenfalls vorerst nicht. Hier in Milderhurst haben sich
die Dinge nicht so entwickelt, wie ich gehofft hatte. Ich kann Dir nicht viel
erzählen, nur dass etwas geschehen ist und ich in nächster Zeit am besten zu
Hause bleibe. Du fehlst mir, Merry. Du bist meine erste und einzige Freundin,
habe ich Dir das jemals gesagt? Ich denke oft an unsere gemeinsame Zeit, vor
allem an den Nachmittag auf dem Dach, erinnerst Du Dich? Da warst Du erst seit
ein paar Tagen bei uns und hattest mir noch nichts von Deiner Höhenangst
erzählt. Du hast mich gefragt, wovor ich mich fürchte, und ich habe es Dir
gesagt. Du bist die Einzige, der ich das je anvertraut habe.
Adieu,
kleines Huhn.
In Liebe,
Deine
Juniper
Ich konnte
nicht anders, ich las den Brief noch einmal, ließ meine Augen über die
krakelige Handschrift gleiten. Vieles in dem Brief machte mich neugierig, ganz
besonders ein Detail. Meine Mutter hatte mich den Brief lesen lassen, um mir
etwas über Juniper, über ihre Freundschaft mit ihr zu vermitteln, aber ich
konnte nur an meine Mutter und mich denken. Seit ich erwachsen war, bewegte ich
mich in der Welt der Schriftsteller und Manuskripte, ich hatte beim Abendessen
zahllose literarische Anekdoten zum Besten gegeben, obwohl ich wusste, dass
sie
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