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Morton, Kate

Morton, Kate

Titel: Morton, Kate Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die fernen Stunden
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völlig Unerwartetes. Es war Mittwochmittag, und Herbert und ich kehrten
mit Jess von unserem Verdauungsspaziergang in Kensington Gardens zurück. Wobei
das Wort Spaziergang zu falschen Assoziationen verleiten könnte: Jess geht
nicht gern spazieren, und sie hält nicht mit ihrem Widerwillen hinterm Berg und
bleibt alle zwanzig Meter stehen, um irgendwo nach einem geheimnisvollen
Geruch zu schnüffeln.
    Als
Herbert und ich uns während einer dieser Schnüffelpausen die Beine in den
Bauch standen, fragte er: »Wie steht's denn so an der Heimatfront?«
    »Es
herrscht tatsächlich Tauwetter.« Ich schilderte ihm kurz die neuesten
Entwicklungen. »Ich will ja nicht zu früh frohlocken, aber es sieht so aus,
als würde sich unser Verhältnis bessern.«
    »Dann hast
du deine Umzugspläne also vorerst auf Eis gelegt?« Er zog Jess von einer
verdächtig stinkenden Pfütze weg.
    »Gott,
nein. Mein Vater redet schon davon, mir einen Morgenmantel mit Initialen zu
kaufen und im Bad einen dritten Handtuchhaken anzubringen, sobald er wieder auf
den Beinen ist. Ich fürchte, wenn ich nicht bald die Flucht ergreife, bleibe
ich bis an mein Lebensende dort hängen.«
    »Klingt ja
furchtbar. Gibt's denn was Interessantes auf dem Wohnungsmarkt?«
    »Jede
Menge. Ich muss meinen Chef nur noch um eine saftige Gehaltserhöhung anhauen,
um mir eine von diesen Wohnungen leisten zu können. Und? Wie stehen die
Chancen?« Ich bewegte meine Hand wie ein Marionettenspieler.
    »Tja«,
sagte Herbert, drückte mir Jess' Leine in die Hand und holte seine Zigaretten
aus der Tasche. »Dein Chef kann dir zwar keine Gehaltserhöhung spendieren, aber
er hat vielleicht eine Idee.«
    Ich hob eine Braue. »Was denn für eine Idee?« »Eine
ziemlich gute, glaube ich.« »Ach ja?«
    »Alles zu
seiner Zeit, meine Liebe.« Er zwinkerte mir zu, die Zigarette im Mundwinkel.
»Alles zu seiner Zeit.«
    Als wir in
Herberts Straße einbogen, sahen wir den Briefträger vor der Tür stehen, der
gerade die Post durch den Briefschlitz schieben wollte. Herbert tippte sich
zum Gruß an den Hut, nahm die Sendungen entgegen und schloss die Tür auf. Wie
üblich verzog Jess sich schnurstracks auf ihr Kissen unter Herberts
Schreibtisch, machte es sich gemütlich und bedachte uns mit einem ungnädigen
Blick.
    Herbert
und ich haben unsere festen Rituale. Als Herbert, nachdem er die Tür
geschlossen hatte, fragte: »Tee oder Post, Edie?«, war ich bereits auf dem Weg
in die Küche.
    »Tee«,
sagte ich. »Kümmere du dich um die Post.«
    Das
Tablett stand schon parat - in diesen Dingen ist Herbert sehr penibel -, und
unter einem karierten Küchentuch lagen frisch gebackene Brötchen zum Abkühlen.
Während ich ein Kännchen mit Sahne und ein Schälchen mit selbst gemachter Marmelade
füllte, überflog Herbert die Tageskorrespondenz. Als ich mit dem Tablett ins
Büro kam, sagte er: »Sieh mal einer an.«
    »Was ist?«
    Er schaute mich über den Brief
hinweg an. »Ein Jobangebot, würde ich sagen.« »Von wem denn?«
    »Von einem ziemlich großen
Verlag.«
    »Ganz schön unverschämt!« Ich
reichte ihm eine Tasse. »Ich nehme an, du wirst denen umgehend mitteilen, dass
du einen Job hast, mit dem du vollauf zufrieden bist.«
    »Das würde ich selbstverständlich
tun«, sagte er. »Aber das Angebot ist nicht für mich. Sie wollen dich, Edie.
Dich und niemand anderen.«
     
    Der Brief
kam von dem Verlag, bei dem Raymond Blythes Modermann erschienen war. Eine Tasse dampfenden Darjeeling und eine dick mit
Marmelade beschmierte Brötchenhälfte vor sich, las Herbert mir den Brief vor.
Dann las er ihn noch einmal. Anschließend erklärte er mir seinen Inhalt in
einfachen Worten, denn obwohl ich seit zehn Jahren im Verlagswesen arbeitete,
war ich vor Verblüffung vorübergehend begriffsstutzig: Aus Anlass des
fünfundsiebzigsten Jahrestags seiner Erstveröffentlichung sollte im kommenden
Jahr der Modermann neu aufgelegt werden. Und der
Verlag bat mich, zu dieser Jubiläumsausgabe ein Vorwort zu schreiben.
    »Du nimmst mich auf den Arm ...«
Er schüttelte den Kopf. »Aber das ist ... das kann ich nicht glauben«, sagte
ich. »Warum ich?«
    »Das weiß ich nicht.« Er drehte
den Brief um, sah, dass die Rückseite leer war, schaute mich mit großen Augen
an. »Das steht hier nicht.«
    »Wie
seltsam.« Ein Kribbeln unter meiner Haut. Jemand schien an den unsichtbaren
Fäden zu zupfen, die mich mit Milderhurst verbanden. »Was soll ich tun?«
    Herbert
reichte mir den Brief. »Ich würde sagen,

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