Morton, Kate
Milderhurst geschrieben
hatte. Wie sie sie anflehte, sie noch dort bleiben zu lassen, wie sie ihnen
erklärte, sie habe endlich den Ort gefunden, wo sie hingehörte, wie sie ihnen
beteuerte, dass ihre Entscheidung nicht bedeute, sie hätten sie »verloren«.
Ich
spürte, dass es da Zusammenhänge gab, was meinen Magen aber nicht im Mindesten
beeindruckte. Er unterbrach meine Gedanken, indem er mich knurrend daran
erinnerte, dass ich seit Herberts Lasagne nichts mehr gegessen hatte.
Es war
still im Haus, als ich leise durch den dunklen Flur zur Treppe ging. Im
Vorbeigehen fiel mir der schmale Lichtstreifen unter der Tür zum Zimmer meiner
Mutter auf. Ich zögerte, das Versprechen, das ich meinem Vater gegeben hatte,
mich mit meiner Mutter zu vertragen, noch im Ohr. Meine Chancen standen
schlecht - niemand beherrscht die Kunst, eine Kältefront souverän zu
ignorieren, so gut wie meine Mutter -, aber meinem Vater war es wichtig. Also
holte ich tief Luft und klopfte ganz vorsichtig an ihre Tür. Nichts rührte
sich, und einen Moment lang hoffte ich schon, das Ganze würde mir erspart
bleiben, dann rief sie leise: »Edie? Bist du das?«
Ich
öffnete die Tür. Meine Mutter saß im Bett, über ihr mein Lieblingsgemälde, auf
dem der Vollmond ein lakritzschwarzes Meer in Quecksilber verwandelt. Sie hatte
ihre Lesebrille auf die Nasenspitze geschoben, und auf ihren Knien lag ein
Roman mit dem Titel Die letzten Tage in Paris. Sie
schaute mich unsicher an.
»Ich habe
gesehen, dass du noch Licht anhast.«
»Ich
konnte nicht schlafen.« Sie hob das Buch an. »Lesen hilft manchmal.«
Ich
nickte, dann schwiegen wir beide. Mein Magen nahm die Stille wahr und meldete
sich zu Wort. Ich wollte gerade in Richtung Küche flüchten, als meine Mutter
sagte: »Mach die Tür zu, Edie.«
Ich tat
ihr den Gefallen.
»Komm,
setz dich zu mir. Bitte.« Sie nahm die Brille ab und hängte sie mit der Kette
über den Bettpfosten. Ich setzte mich auf die Bettkante und lehnte mich gegen
das Kopfteil, wie ich es als Kind an meinem Geburtstag getan hatte.
»Mum«,
setzte ich an, »ich ...«
»Du
hattest recht, Edie.« Sie schob das Lesezeichen in ihr Buch, klappte es zu,
legte es aber nicht auf den Nachttisch. »Ich bin mit dir nach Milderhurst gefahren.
Vor vielen Jahren.«
Plötzlich
hatte ich das Gefühl, gleich in Tränen ausbrechen zu müssen.
»Du warst
damals noch klein. Ich hätte nicht gedacht, dass du dich daran erinnern
würdest. Wir sind nicht lange geblieben. Ich hatte nicht den Mut, durch das
Tor zu gehen«, sagte sie, ohne mich anzusehen, das Buch fest an ihre Brust
gedrückt. »Es war nicht in Ordnung, dass ich gesagt habe, du würdest dir das
alles nur einbilden. Es war einfach ... so ein Schock, als du mich danach
gefragt hast. Ich war nicht darauf gefasst. Ich wollte dich nicht anlügen.
Kannst du mir verzeihen?«
Wie konnte
man eine solche Bitte ablehnen? »Ja, natürlich.«
»Ich habe
dieses Schloss geliebt«, sagte sie. »Ich wollte nie wieder weg.«
»Ach,
Mum.« Ich hätte sie so gern in den Arm genommen.
»Und
Juniper Blythe, sie habe ich auch geliebt.« Dann schaute sie mich an, und sie
wirkte so verloren, so einsam, dass es mir den Atem raubte.
»Erzähl
mir von ihr, Mum.«
Lange
sagte sie nichts, und ich sah ihren Augen an, dass sie weit, weit weg war. »Sie
war ... so anders als alle Menschen, die ich bis dahin gekannt hatte.« Meine
Mutter schob sich eine imaginäre Haarsträhne aus der Stirn. »Sie war
bezaubernd. Und das meine ich ganz ernst. Sie hat mich bezaubert.«
Ich dachte
an die silberhaarige Frau, der ich in dem dunklen Korridor in Schloss
Milderhurst begegnet war, wie sich ihr Gesicht verwandelte, wenn sie lächelte,
an Toms leidenschaftliche Briefe, von denen Theo mir erzählt hatte. An das
kleine Mädchen auf dem Foto, das mit seinen großen, weit auseinanderstehenden
Augen in die Kamera schaute.
»Du
wolltest nicht zurück nach Hause.«
»Nein.«
»Du
wolltest bei Juniper bleiben.«
Sie
nickte.
»Und
Großmutter war sauer deswegen.«
»Und wie.
Sie wollte schon seit Monaten, dass ich nach Hause kam, aber ich ... ich hatte
sie überredet, mich noch bleiben zu lassen. Dann kam der Luftangriff, und sie
waren froh, mich in Sicherheit zu wissen. Aber am Ende hat sie meinen Vater geschickt,
mich zu holen, und danach bin ich nie wieder im Schloss gewesen. Aber ich habe
mir immer den Kopf darüber zerbrochen ...«
Ȇber
Milderhurst?«
Sie
schüttelte den Kopf. »Über Juniper und Mr.
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