Morton, Kate
»Das erzählt man sich im Dorf.
Dass sie verlobt ist.«
Das
Vorspeisenmesser stieß klappernd gegen seinen Nachbarn. Saffys Mund öffnete
sich. Sie blinzelte. »Wie bitte?«
»Verlobt.
Juniper ist verlobt.«
»Aber das
ist doch lächerlich. Natürlich ist sie das nicht.« Saffy war ehrlich verblüfft.
»Juniper?« Sie brachte ein schwaches, heiseres Lachen zustande. »Wo hast du
das nur aufgeschnappt?«
Percy
stieß eine Rauchwolke aus.
»Also? Wer
verbreitet so einen Unsinn?«
Percy
klaubte ein Stückchen Tabak von ihrer Unterlippe und sagte einen Moment lang
nichts. Stirnrunzelnd betrachtete sie das dunkle Fitzelchen an ihrer
Fingerspitze. Schließlich schnippte sie es in den Aschenbecher. »Ach,
wahrscheinlich hat es nichts zu bedeuten. Ich war nur auf der Poststelle und
...«
»Ha!«,
sagte Saffy, vielleicht ein bisschen zu triumphierend. Und erleichtert, weil
Percys Bemerkung nichts weiter als Klatsch war: Gerede im Dorf, das jeder
Wahrheit entbehrte. »Das hätte ich mir denken können. Diese Mrs. Potts!
Wirklich, sie ist eine Gefahr für die Allgemeinheit. Wir können nur dankbar
sein, dass sie sich noch nicht das Maul über die Politik zerreißt.«
»Du
glaubst es also nicht?« Percys Stimme klang dumpf, vollkommen tonlos.
»Natürlich
glaube ich es nicht.«
»Juniper
hat dir also nichts gesagt?«
»Kein
Wort.« Saffy ging zu Percy hinüber und legte ihr eine Hand auf den Arm.
»Wirklich, meine Liebe. Kannst du dir Juniper als Braut vorstellen? Ganz in
weiße Spitze gehüllt? Dass sie gelobt, jemanden zu lieben und ihm zu gehorchen
bis an ihr Lebensende?«
Percys
Zigarette lag ausgedrückt im Aschenbecher, und sie verschränkte die Finger
ineinander. Dann deutete sie ein Lächeln an, hob kurz die Schultern und
schüttelte den Gedanken ab. »Du hast recht«, sagte sie. »Dummes Gerede, mehr
nicht. Ich habe mich nur gefragt ...« Aber was genau sie sich gefragt hatte,
behielt Percy für sich.
Obwohl
keine Musik mehr zu hören war, drehte die Grammofonnadel immer noch
pflichtschuldigst ihre Runden auf der Schallplatte. Saffy erlöste sie von ihrem
Elend und legte den Tonabnehmer zurück auf die Gabel. Sie wollte gerade in die
Küche gehen, um nach der Kaninchenpastete zu sehen, als Percy sagte: »Juniper
hätte es uns gesagt. Wenn es stimmte, hätte sie es uns gesagt.«
Saffys
Wangen begannen zu glühen, als sie an das Tagebuch im Dachbodenzimmer dachte,
an den Schock, als sie die letzte Eintragung gelesen hatte, an den Stich, den
es ihr versetzt hatte, nicht eingeweiht worden zu sein.
»Saffy?«
»Ganz
sicher«, antwortete sie hastig. »Das tut man doch, nicht wahr? Wichtige Dinge
erzählt man sich gegenseitig.« »Ja.«
»Vor allem
seinen Schwestern.« »Ja.«
Und es
stimmte. Eine Liebesaffäre geheim zu halten war eine Sache, aber eine Verlobung
— das war etwas ganz anderes. Selbst Juniper, da war sich Saffy ganz sicher,
wären die Gefühle anderer nicht gleichgültig, sie wäre sich über die
Auswirkungen im Klaren, die eine solche Entscheidung hätte.
»Trotzdem«,
sagte Percy. »Wir sollten mit ihr reden. Sie daran erinnern, dass Vater ...«
»... nicht
hier ist«, beendete Saffy den Satz sanft. »Er ist nicht hier, Percy. Wir sind
alle frei zu tun, was uns gefällt.« Frei, Milderhurst zu verlassen, dem Glanz
und dem Trubel New Yorks entgegenzusegeln, ohne einen Blick zurückzuwerfen.
»Nein«,
sagte Percy so scharf, dass Saffy einen Moment lang fürchtete, sie hätte ihre
Gedanken laut ausgesprochen. »Wir sind nicht frei. Nicht ganz. Wir sind alle
einander verpflichtet. Juniper weiß das. Sie weiß, dass eine Ehe ...«
»Perce -«
»Das waren
Vaters Wünsche. Seine Bedingungen.«
Ihre
Blicke begegneten sich, und Saffy hatte zum ersten Mal seit Monaten
Gelegenheit, das Gesicht ihrer Schwester aus der Nähe zu betrachten. Percy
hatte einige neue Falten bekommen. Sie rauchte viel und machte sich viele
Sorgen, und zweifellos forderte der Krieg seinen Tribut, aber was auch immer
der Grund sein mochte, die Frau, die vor ihr saß, war nicht mehr jung. Aber alt
war sie auch nicht, und Saffy begriff plötzlich - hatte sie das denn nicht
immer gewusst? —, dass es einen Bereich dazwischen gab. Und in diesem befanden
sie sich beide. Sie waren keine jungen Frauen mehr, und doch weit davon entfernt,
alte Jungfern zu sein.
»Vater
wusste, was er tat.«
»Selbstverständlich,
meine Liebe«, sagte Saffy zärtlich. Warum war ihr das bisher nicht
aufgefallen? All die Frauen in dem großen
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