Morton Rhu - Leben und Werk
zusammenstoße, die gerade aus der Küche gerannt kommt. Sie trägt Essenssachen in den Armen – Toastbrot, Schachteln mit Crackern und Keksen, eine Packung Schmelzkäse.
»Los, los!«, treibt Dad uns zur Eile an. Im dunklen Spielzimmer schiebt er die Tür vom Wandschrank auf und räumt hektisch die Spielsachen zur Seite, die auf der viereckigen Falltür liegen. Draußen heulen weiter die Sirenen.
»Was ist denn passiert?«, fragt Sparky ängstlich.
Mom stellt die Lebensmittel auf den Boden, kniet sich neben ihn und nimmt ihn in den Arm. »Nichts Schlimmes, mein Kleiner. Du musst dir keine Sorgen machen.«
Plötzlich hören wir lautes Klopfen an der Haustür.
»Wer ist das?«, frage ich erschrocken.
Statt zu antworten, wuchtet Dad die schwere Eisenklappe hoch und deutet auf die Öffnung. »Du zuerst!«, sagt er zu mir.
Es ist stockfinster dort unten. »Aber ich sehe doch gar nichts!«
»Du kannst die Sprossen mit den Füßen ertasten.«
Irgendwo im Haus splittert Glas.
Sparky fängt an zu weinen. »Was war das?«
»Nichts Schlimmes«, sagt Mom noch einmal und schaut dann zu Dad hoch. »Beeil dich!«
Dad schiebt mir die Hände unter die Achseln und hebt mich in die Öffnung. Meine Füße baumeln ins Leere und ich kralle mich panisch an seinen Unterarmen fest.
Im Flur sind Schritte zu hören. Dad wirbelt so schnell herum, dass ich mit herumschwinge, aber es ist nur Janet, unsere Haushälterin, die einmal in der Woche bei uns übernachtet. Sie steht in ihrem hellblauen Bademantel in der Tür und sieht uns mit ängstlich aufgerissenen Augen an. Dad dreht sich wieder um und hält mich über das schwarze Loch. »Und jetzt runter mit dir!«, befiehlt er.
So beginnt der erste autobiografisch inspirierte Roman Morton Rhues. Ich wollte wissen, warum er vom fiktionalen Schreiben zu persönlichen Geschichten wechselt: »Ich habe in letzter Zeit angefangen, darüber nachzudenken, wie es wäre, Romane zu schreiben, die eigene Erinnerungen enthalten; Geschichten, die mehr mit meinem eigenen Leben zu tun haben. Dieses neue Buch über Kuba hat sehr viel mehr mit mir zu tun, als irgendeines der anderen Bücher, die ich früher geschrieben habe. Dieser Roman ist wie ein Teil meiner Memoiren und erzählt von meiner Kindheit. Inzwischen arbeite ich an einem zweiten Buch, das mehr mit meinen späten Teenagerjahren zu tun haben wird und den Übergang vom Gymnasium auf die Universität beschreiben wird. Aber es handelt sich erst um Notizen. Mal sehen, ob daraus wirklich etwas wird.«
Käsekuchendilemma
In »Über uns Stille« reist Morton Rhue zurück in die frühen Sechzigerjahre und fiktionalisiert eine atomare Eskalation der Kubakrise. Der Roman alterniert zwischen zwei Erzählsträngen. Der erste berichtet dramatisch und actionreich von der Flucht der Familie Porter und einiger Nachbarn in den Bunker und vom Überleben dieser (ab)geschlossenen Gruppe unter der Erde. Der Albtraum des elfjährigen Ich-Erzählers Scott Porter scheint wahr geworden und wird wie ein reales Ereignis erzählt.
Draußen ist offenbar gerade eine Atombombe explodiert. Drinnen ist kein Platz für die Nachbarn. Draußen heulen die Sirenen. Drinnen fehlt Trinkwasser. Die Situation ist chaotisch und ideal, um das ethische Dilemma darzustellen, ob man wenige retten kann oder ob alle sterben sollen und wer darüber entscheidet, wer die wenigen zu Rettenden sein sollen. Wer kann über Leben und Tod bestimmen?
Diese Erzählung wechselt ab mit einer dagegen idyllisch anmutenden Geschichte, die am letzten Tag der Sommerferien 1962 beginnt. Scott klaut zusammen mit seinen Freunden Ronnie und Gordon, genannt Spinner, einen Käsekuchen aus der nachbarlichen Tiefkühltruhe – hier findet das moralische Dilemma im Kleinen statt, aber es packt die Leser mindestens genauso wie das große.
Während die dramatischen Momente im Bunker im szenischen Präsens erzählt werden, schildert Morton Rhue in jedem zweiten Kapitel in der Vergangenheitsform das Käsekuchendilemma und weitere Episoden aus dem Vorstadtalltag des Protagonisten.
Keiner der Bungalows in unserer Nachbarschaft war unterkellert, weshalb die meisten Familien ihre mit Vorräten gefüllten Tiefkühltruhen in der Garage stehen hatten.
»Heißt das, du willst ihn klauen?«, fragte ich (Ronnie) und zupfte nervös an den Haaren hinter meinem rechten Ohr. Ich hatte in meinem ganzen Leben noch nie etwas gestohlen, höchstens mal ein paar Kekse aus der Küche stibitzt, wenn Mom gerade nicht da gewesen war,
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